Die Flut und das Klima
Mehr als 190 Menschen starben bei den verheerenden Überschwemmungen in Deutschland und Belgien, die Niederlande kamen vergleichsweise glimpflich davon. Nun beginnt das große Aufräumen, vielerorts kehren Evakuierte in ihre Häuser zurück, andere verloren ihr ganzes Hab und Gut. Europas Presse debattiert Lücken im Katastrophenschutz und wie sich Europa angesichts des Klimawandels besser vorbereiten kann.
Deutschland war schlecht vorbereitet
Rzeczpospolita kritisiert das veraltete deutsche Warnsystem:
„Anders als in den Niederlanden sind sich viele Deutsche der Gefahr von Hochwasser nicht bewusst. Daher gab es so viele Opfer. In Deutschland gibt es kein SMS-Warnsystem, und der Betrieb der im September 2020 erstmals seit 30 Jahren [bundesweit] getesteten Sirenen wies Mängel auf.“
Den Schutz weiter erhöhen
Anders als in Deutschland und Belgien hat das Hochwasser in den Niederlanden nicht zu einer Katastrophe geführt - aber es war knapp. De Volkskrant fordert Anpassungen:
„Dank der Maaswerke [Hochwasserschutzmaßnahmen am Fluss Maas], mit denen nach den Überschwemmungen von 1993 und 1995 begonnen wurde, ist [die Provinz] Limburg knapp einer Katastrophe entkommen, aber auch hier müssen die Ingenieure wieder an die Arbeit. Nachdem jetzt auch mitten im Sommer extreme Wasserstände vorkommen können, müssen alle Berechnungen erneut gemacht werden. Davon abgesehen muss man auch die Bevölkerung beruhigen. Jeder hat das Recht auf eine sichere Wohnumgebung. Die Bevölkerung von Limburg hat sich durch die überwältigende Kraft des Wassers sehr unsicher gefühlt. Der Staat muss deutlich machen, wie er diese in Zukunft bezwingen will.“
Das sind die Folgen der Erderwärmung
Auch für Skeptiker wird nun real, wovor Forscher und Klimaaktivisten gewarnt hatten, schreibt Club Z:
„Einige glauben, dass extremes Wetter in diesem oder früheren Jahren ein lokales Phänomen ist. Und dass es keine Beweise gibt, dass dieses ein Ausdruck des Klimawandels ist. Doch mittlerweile sollten jedem, auch diesen Menschen klar sein: Je mehr Treibhausgase emittiert werden, desto mehr erwärmt sich die Erde. Und je wärmer die Atmosphäre, desto wahrscheinlicher sind extreme Wetterereignisse. ... Selbst wenn wir davon ausgehen, dass es auch ohne menschliche Aktivität von Zeit zu Zeit sintflutartige Regenfälle geben würde, ist ihre Zerstörungskraft aufgrund menschlicher Aktivität um ein Vielfaches größer.“
Weltverbesserungsträume helfen nicht weiter
Auf Extremwetterlagen nur mit CO2-Reduktionszielen zu reagieren, wird nicht ausreichen, befürchtet die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Die Dekarbonisierung der deutschen Wirtschaft ... wird Jahrzehnte dauern. Und da auf Deutschland nur zwei Prozent der globalen CO2-Emissionen entfallen, wird sich an unserem Wetter sowieso nur etwas ändern, wenn China, Amerika, Russland, Indien und Japan mitziehen ... . Deshalb wird es fürs Erste darauf ankommen, das Leben (und Wohnen) in Deutschland an die veränderten Klimabedingungen anzupassen. Da gibt es viel zu tun, von Warnsystemen bis zu Schutzmaßnahmen in gefährdeten Gebieten. Da die Deutschen zur Weltverbesserung neigen, hat man über diese Themen, die für den Alltag der Bürger essenziell sind, bisher zu wenig geredet.“
Jeder ist sich selbst der Nächste
Während Menschen von den Fluten mitgerissen wurden, versuchten in Brüssel Vertreter Italiens, Frankreichs und der Visegrád-Staaten die Klimapläne der EU-Kommission aufzuweichen, kritisiert Berlin-Korrespondentin Tonia Mastrobuoni in La Repubblica:
„Emmanuel Macron fürchtet Gelbwestenproteste, wenn sich die Steuern auf alte und umweltschädliche Kraftstoffe in einem hohen Benzinpreis niederschlagen. Er macht sich mehr Sorgen um seine Wiederwahl in einem knappen Jahr als um das Schicksal von Millionen junger Menschen. ... Polen, das an der Kohle festhält, bangt um seine Hauptenergiequelle. Und Italien? Die Gründe für seinen Widerstand liegen in einer jahrzehntelangen kurzsichtigen Politik, diktiert von Lobbys, die nicht zu einem energiepolitischen und industriellen Wandel bereit waren. Dieser ist zwar kostspielig, aber unverzichtbar, um Phänomene zu vermeiden, wie wir sie derzeit im Herzen Europas erleben.“
Laschet hinkt hinterher
Der CDU-Kanzlerkandidat steht angesichts der Überflutungen in einem äußerst schlechten Licht da, analysiert Le Temps:
„Für Armin Laschet ist die Katastrophe der vergangenen Tage eine sehr schlechte Nachricht. Der CDU-Vorsitzende und Bewerber um Merkels Nachfolge hinkt den klimatischen Herausforderungen hinterher. Er sagt, er wolle Deutschland wie sein Bundesland Nordrhein-Westfalen regieren - und hat dort lauter Hindernisse für die Windenergie errichtet und sich für den Einsatz von Kohleenergie bis 2038 ausgesprochen. Den Klimaplan der EU hat er gerade als verfrüht bezeichnet. Seine Klimapolitik ist vage und ohne Ehrgeiz. Will er Merkel im Herbst beerben, muss er sein Programm überarbeiten.“
Wir schaffen es nicht
Äußerst pessimistisch blickt Új Szó auf das Thema:
„Anstatt die Erde wie ein Virus zu befallen, könnten wir auch symbiotisch mit ihr zusammenleben. Das wäre für alle vorteilhaft. Doch es ist zu befürchten, dass die Menschheit dies leider nicht kann. Wir können uns aus der Konsumgesellschaft, die auf ständigem Wachstum basiert, nicht an den eigenen Haaren herausziehen. Diejenigen, die einmal auf einer zweiten Arche Noah die Chance für einen Neustart bekommen werden, sollen aus unserem Schicksal lernen.“