Woher kommt Europas Energie für die Wende?
Die EU will aus klimaschädlichen Energiequellen aussteigen. Die Mitgliedsstaaten stehen dabei jedoch vor riesigen Herausforderungen und rudern insbesondere beim Thema Kernkraft in gegensätzliche Richtungen. Angeheizt wird die Debatte durch die Kältewelle in Nordeuropa und die ehrgeizige Klimapolitik der neuen Bundesregierung. Europas Presse stellt Fragen und ringt um Antworten.
Mangel macht die besten Partner egoistisch
Sogar sonst gute Nachbarn wie Norwegen und Schweden gönnen sich bei Energienot gegenseitig nichts mehr, spottet Ria Nowosti:
„Es ging so weit, dass die Schweden den Norwegern verboten, das schwedische Netz für den Transport norwegischen Stroms zu nutzen. Diese kürzten als Antwort ihre Stromlieferungen just in dem Moment, als Schweden sie am dringendsten brauchte. Ja, die in Nordschweden gemessenen minus 43,8 Grad Celsius sind für Dezember eine erstmals seit 1986 aufgetretene Anomalie. Aber Energiezank in der 'freundschaftlichen europäischen Familie' droht in diesem energiedefizitären Winter für Europa zur Normalität zu werden. ... Logisch, denn niemand hat versprochen, dass während der grünen Energiewende deren Teilnehmer auch genug Energie bekommen.“
Lettland hat Startschuss für Windenergie verschlafen
Nach einem erneuten Anstieg des Strompreises diskutiert man in Lettland seit dieser Woche verstärkt über Windenergie. Das Land könnte viel besser dastehen, hätte man früh genug investiert, ärgert sich Gatis Galviņš vom Windkraftunternehmen SIA Eolus in Ir:
„Wir haben in Lettland lange genug naiv geglaubt, dass der düstere Anstieg der Energiepreise uns nie erreichen wird. Wir haben auf eigenes Wasser in den drei Daugava-Wasserkraftwerken und günstige Importgaspreise gehofft und dabei das große Potenzial der Windenergie ignoriert. Je mehr Strom aus Wind erzeugt wird, desto niedriger ist der Strompreis. ... Deshalb ist der Bau neuer Windparks wichtig. Leider haben die Regierung und die Kommunalverwaltungen die Gesetzgebung in diesem Bereich noch nicht geregelt.“
Erdgas- und Atomverzicht unrealistisch
Gegen eine EU-Klimapolitik, deren Kosten für Tschechien nicht bezahlbar seien, wehrt sich der Präsident der tschechischen Handelskammer, Vladimír Dlouhý, in Mladá fronta dnes:
„Ich hinterfrage nicht die Notwendigkeit eines ambitionierten Klimapakets der EU, wohl aber unrealistische Ziele und potenzielle Ungerechtigkeit. Natürlich ist Erdgas nicht emissionsfrei. Aber die Kommission muss dessen Nutzung für einen langen Übergangszeitraum, mindestens bis 2050, akzeptieren. Zudem hat Tschechien wie etwa auch Frankreich das Recht, die Kernenergie weiterzuentwickeln. Und lassen Sie uns unser Bestes tun, um die Erneuerbaren mit positiven Anreizen, Motivation, Förderung von Forschung und Entwicklung zu unterstützen, aber nicht unter dem Druck unrealistischer Ziele.“
Belgien auf Kernkraft-Ausstieg nicht vorbereitet
Der Kernkraft-Betreiber Engie Electrabel hält es für unmöglich, die beiden Atomkraftwerke in Belgien auch nach 2025 weiter zu betreiben. Das ist faktisch der Ausstieg aus der Kernenergie, stellt De Morgen fest und klagt, dass die Politik ihre Hausaufgaben nicht gemacht hat:
„Ein Teil der [Energie-Versorgung] wird nun gezwungenermaßen von den Gaswerken kommen müssen. In Zeiten, in denen Klimabewusstsein Pflicht und Energiepolitik Geopolitik ist, ist das eine schwer vertretbare Option. ... Der Ausstieg aus der Kernenergie ist nicht gerade ein neues Thema. ... Nie wurde tatkräftig gehandelt. Immer dachte man, man könne die Frage auch morgen beantworten. Und nun zeigt sich: Nein. Einmal mehr wird der Mangel an langfristigem Denken in der Politik bitter deutlich.“
Polen könnte Trendsetter werden
Große Hoffnungen in Polens geplanten Einstieg in die Kernenergie setzt das Branchenportal Energetyka24:
„Angesichts neuer Herausforderungen ändert die Welt ihre Haltung zur Kernenergie. Der voranschreitende Klimawandel, ausgelöst durch den Ausstoß von Gigatonnen von Treibhausgasen, zwingt zu einer Wende hin zur Emissionsreduzierung. ... Die Kernenergie könnte die Antwort auf diese Probleme sein. ... Polen sticht in Europa als Land mit ehrgeizigen Kernenergieplänen hervor. Die Regierung in Warschau will zwei bis drei Kraftwerke mit einer Gesamtkapazität von bis zu neun Gigawatt bauen. Der Anteil dieses Energieträgers am polnischen Energiemix soll in den 2040er Jahren voraussichtlich rund 20 Prozent betragen.“