Ukraine-Konflikt: Machtbalance auf der Kippe?
Zum Jahresende hat Moskau den Ton im Ukraine-Konflikt abermals verschärft. Während russische Truppen weiterhin in Grenznähe stationiert sind, warf Präsident Putin den USA "aggressives" Verhalten vor und drohte, bei dessen Fortsetzung "mit adäquaten militärisch-technischen Maßnahmen" zu antworten. Kommentatoren analysieren das Machtverhältnis.
Russland zeigt seine Muskeln
Der russische Staatskonzern Gazprom setzte die Gaslieferung über die Jamal-Pipeline nach Deutschland aus. Il Manifesto fragt sich, ob der Kreml am Ende doch am längeren Hebel sitzt:
„Ist die Nato wirklich in der Lage, einer Erpressung des Kremls standzuhalten? Inwieweit werden die Regierungen der Atlantischen Allianz in ihren Beziehungen zu Moskau militärischen Angelegenheiten den Vorrang geben? Russland ist seit fast acht Jahren mit besonders harten Sanktionen konfrontiert, die jedoch weit weniger Auswirkungen auf das wirtschaftliche und politische System des Landes hatten als erwartet. ... Derweil wurde Europa gestern schmerzlich daran erinnert, wie wichtig die Rolle Russlands auf dem Weltmarkt ist. Der Erdgaspreis kletterte erneut. ... Auf einen Höchststand.“
Kleine Staaten endlich nicht mehr bevormundet
Dass die Nato zumindest offiziell keine Entscheidungen über den Kopf der kleineren Staaten hinweg treffen will, hält der Politologe Linas Kojala in Delfi für löblich:
„Abgelehnt wird die Möglichkeit, Einflusszonen zu vereinbaren, indem man die kleineren Staaten wie stumme Bauern auf dem Schachbrett schiebt. Wir können uns fragen, ob das nicht nur leere Worte sind. ... Aber es wäre doch ein Fehler, die mentalen Veränderungen nicht zu bemerken, die das geopolitische Gleichgewicht zugunsten kleinerer Staaten verschieben. 'Nichts über sie ohne deren Anwesenheit' - dieses Bild gibt zwar keine absolute Sicherheit, stellt aber dar, welche Fortschritte die westliche Geopolitik in letzten hundert Jahren gemacht hat.“
Europas Beteuerungen sind nicht viel wert
Die Ukraine sollte sich auf den Ernstfall vorbereiten, rät Phileleftheros:
„Trotz der lautstarken Zusicherungen zögern die Europäer, Russland wirtschaftlichen Schaden zuzufügen, da sie wissen, dass dies auch für sie Konsequenzen hätte. Lassen wir uns nicht von der harten Rhetorik und den Drohungen auf beiden Seiten täuschen. ... Der Westen hofft nun, dass Putin entweder blufft und nicht in die Ukraine einmarschiert oder dass man ihn mit der Androhung von Sanktionen aufhält. Erweist sich beides als Irrtum, könnte die Lage für die Ukraine eine gefährliche Wendung nehmen. Es ist ratsam, sich auf die Möglichkeit vorzubereiten, dass sie in einem schwierigen Moment allein gegen einen mächtigen Feind antreten muss.“
Im Osten ist man auf die neue Ära vorbereitet
Der Westen sollte sich langsam auf eine neue Rolle in einer neuen Epoche einstellen, rät Ria Nowosti fürsorglich:
„Russland möchte eine neue Weltordnung und arbeitet an ihrer Errichtung - und wir sind uns sicher, dass wir sie gemeinsam mit anderen Großmacht-Zivilisationen aufbauen. Aber wir brauchen keinen beschleunigten Kollaps des atlantischen Projekts, sondern einen kontrollierten Übergang von der ausklingenden atlantisch-westlichen Epoche in eine neue Welt. Das entspricht auch den strategischen Interessen des Westens - in Bezug auf die kommende Epoche. Er braucht einen kontrollierten Abgang von der Position des gescheiterten Hegemons zu der eines einflussreichen Global Players.“