Partygate II: Der Wind dreht sich gegen Johnson
Boris Johnson hat sich für die Teilnahme an einer Party entschuldigt, die während des Corona-Lockdowns im Mai 2020 im Garten seines Amtssitzes stattfand. Es ist der zweite solche Fall nach Verstößen bei einer Weihnachtsfeier. Erste Abgeordnete seiner Partei fordern den Premier zum Rücktritt auf. Umfragen sehen Labour zehn Prozentpunkte vor den Tories. War's das mit der Ära Johnson?
Tories brauchen eine Alternative
Zwei Faktoren werden über das Schicksal des Premiers entscheiden, analysiert die Süddeutsche Zeitung:
„Wenn es eine glaubwürdige Alternative zu ihm gibt, die mindestens denselben Wahlerfolg garantiert wie ein angeschlagener Johnson, dann wäre ein Wechsel eine sinnvolle Investition für die Tories. Die Suche nach einer Alternative wird sich beschleunigen, wenn (zweitens) die Umfragen nicht besser werden. Am 5. Mai wählen die Briten ihre Lokalpolitiker. Diese Kommunalwahl wird zu einem Referendum über Boris Johnson. Sollte die Partei das Ergebnis voraussehen, dann könnte sie dem Spuk ein Ende bereiten und dem Wähler rechtzeitig zur Wahl mitteilen: Wir haben verstanden, die Johnson-Ära ist vorüber.“
Meilenweit entfernt von der Wirklichkeit
Hochmut kommt vor dem Fall, konstatiert Jyllands-Posten:
„Offenbar ist der Oberklassen-Mensch Johnson von der realen Wirklichkeit dermaßen entkoppelt, dass er nichts Falsches darin sehen konnte, zu feiern, während gleichzeitig viele Briten Sterbende nicht im Krankenhaus besuchen und nicht an Begräbnissen teilnehmen konnten. ... Boris Johnson ist sein eigener ärgster Feind, und die Forderungen nach seinem Rücktritt werden lauter. So kann es durchaus enden. ... Es ist, als würde man nochmals die satirische Fabel lesen, die der britische Schriftsteller George Orwell über die Sowjetunion unter Stalin schrieb - alle Tiere sind gleich, aber einige sind gleicher als andere. Das [Farm der Tiere, veröffentlicht 1945] hätte auch an einem Maiabend in Downing Street 10 geschrieben worden sein.“
Der Entfesselungskünstler trickst schon wieder
Johnson könnte durchaus auch diesen Skandal überleben, meint The Spectator:
„Indem er sein Schicksal in die Hände einer Staatsdienerin [Untersuchungsausschuss-Leiterin Sue Gray] legt, geht Johnson ein Risiko ein, das sich auszahlen könnte. Die Streber in Whitehall sind risikoscheue Seelen, denen der Instinkt und erst recht die Erfahrung fehlt, ihren eigenen Chef zu stürzen. Und Gray ist eine kluge Wahl als Leiterin. Sie sieht nicht wie jemand aus, der gerne im Rampenlicht steht, und weiß bestimmt, dass sie die Entscheidung, Boris' Karriere zu zerstören, über Nacht zu einer Berühmtheit machen würde. Die Chancen stehen also gut, dass Whitehall einen Persilschein liefert. Und für einen ehrlichen und ehrenhaften Menschen hat Johnson schon vor diesem Skandal kein Wähler gehalten.“
Prinz der Sorglosigkeit
Dass Johnson nicht selbst die Reißleine zieht, wundert Naftemporiki nicht:
„Er ist nicht zurückgetreten, als ihm [im Umgang mit der Pandemie] Fehler, Lügen und Versäumnisse unterlaufen sind, die Menschenleben kosteten. Er ist nicht wegen den Mängeln im Gesundheitswesen zurückgetreten, er ist nicht zurückgetreten wegen der umstrittenen Finanzierung der Renovierung seiner Dienstwohnung, wegen der Vergabe von Aufträgen an Freunde oder der Bevorzugung großzügiger Tory-Spender. ... Er hielt sich nicht an die soziale Distanzierung, die er von den Briten nachdrücklich forderte. Er hatte kein Problem mit all dem und soll sich jetzt schämen? ... Bringt eure Getränke mit, die Party ist noch nicht vorbei.“
Die Luft wird dünn
Es ist höchste Zeit, dass sich Johnson erklärt und die Frage, ob er an der Party teilgenommen hat, ohne Ausflüchte beantwortet, findet The Daily Telegraph:
„Auf diese Frage gibt es nur drei Antworten: 'Ja', 'Nein' oder 'Ich kann mich nicht erinnern'. Letztere wäre schlicht unglaubwürdig. Also, wie lautet die Antwort: Ja oder Nein? ... Johnson steht wegen steigender Energiepreise, einer zunehmenden Inflation und Steuererhöhungen, die alle im Frühjahr die Lebenshaltungskosten für Millionen Menschen schwer ertragbar machen werden, vor der schwierigsten Phase seiner Amtszeit. Sollte er keine überzeugende Erklärung dafür finden, was sich am 20. Mai 2020 in seinem eigenen Hausgarten abspielte ... dann wird seine Autorität in tausend Stücke zerborsten sein.“
Rivalen warten schon
Johnsons Tage im Amt sind gezählt, glaubt Irish Independent:
„Während sich ein scheinbar unaufhörlicher Schwall an peinlichen Enthüllungen über ihn ergießt, geht es nun um mehr als nur darum, etwas gerade zu rücken. Es geht darum, seinen Ruf als Ganzes zu retten und herauszufinden, wie er dabei im Amt als Premierminister bleiben kann. Aber viel Glück bei dieser Aufgabe! Denn sein Ruf hängt am denkbar dünnsten seidenen Faden und er hat zahlreiche innerparteiliche Rivalen wie [Gleichstellungsministerin] Liz Truss und [Finanzminister] Rishi Sunak, die sehnsüchtig auf die Chance warten, die Führung zu übernehmen. ... Die eigentliche Frage ist also nicht, ob Johnson die Entscheidung trifft, abzutreten, sondern wann seine Parteikollegen diese Entscheidung für ihn treffen. “