Partygate III: Jetzt ermittelt Scotland Yard
Die Partygate-Affäre weitet sich aus: Boris Johnson soll auch seinen Geburtstag in Downing Street 10 gefeiert haben, als private Treffen in Innenräumen untersagt waren. Die Regierung dementierte bisher nicht, Scotland Yard nahm Ermittlungen gegen den Premier auf. Kommentatoren sind sich einig, dass der Schaden groß ist - aber nicht darüber, ob Johnson deshalb nun abtreten muss.
Herabwürdigung all der erbrachten Opfer
Die Journalistin Alice Thomson schreibt in The Times:
„Boris Johnson hat uns alle wie Idioten dastehen lassen - warum um alles in der Welt haben wir uns so strikt an all die Regeln gehalten? ... Ich führe wieder Gespräche mit Freunden, Bekannten und Lesern, die sich nie von ihren sterbenden Eltern, Kindern oder Ehepartnern verabschiedet haben, die Geburt ihres Babys verpasst haben oder deren Krebs gestreut hat, weil sie ihren Hausarzt nicht belästigen wollten. Und in der Zwischenzeit hatte Carrie Johnson nichts Besseres im Sinn, als den 56. Geburtstag des Premiers mit Kuchen und Häppchen zu feiern. Die meisten von uns wollen die Pandemie hinter sich lassen, können dies aber nicht, bis die Polizei ihre Nachforschungen abgeschlossen hat.“
Briten vor doppeltem Kater
Der Schaden für das Land wird mit jedem Tag größer, kommentiert die London-Korrespondentin der Tageszeitung Die Welt, Stefanie Bolzen:
„Statt mit vollen Kräften die Erholung von der Pandemie voranzutreiben, statt das Land in eine neue Ära nach dem Brexit zu navigieren, reiben sich Regierung und Parlament permanent an immer neuen Details auf, wer, wann, wo die selbst verordneten Corona-Regeln gebrochen haben könnte. ... Was hatte der Konservative der Nation mit seinem Slogan 'Let’s get Brexit done' nicht alles zugesagt ... . Nichts davon ist umgesetzt ... . Wenn 'Partygate' irgendwann zu Ende gefeiert ist, erwacht das Königreich mit einem doppelten Kater. Von dannen geht dann ein Premier, der die Würde des höchsten Regierungsamts beschädigt hat. Und das gesamte Land gleich dazu.“
Schlechtes Timing für Nabelschau
Der Premier ist geschwächt, meint NRC Handelsblad und befürchtet internationale Folgen:
„Auch dass Johnson offenbar sein Schicksal nicht mehr selbst in der Hand hat, schadet seinem Amt. Wenn politische Entscheidungen im eigenen Land - ob es nun um Pläne geht, die BBC zu reformieren oder die Asylpolitik - als populistische Versuche gesehen werden, den Premier zu retten, ist er angeschossenes Wild. Und das gerade zu einem Zeitpunkt, wenn auch international ein starkes Großbritannien nötig ist, mit einem Premier, der ernst genommen wird. Es ist ein Problem, wenn eine der wenigen militärischen Großmächte in Europa so mit sich selbst beschäftigt ist, während an den Außengrenzen Krieg droht.“
Ablenkung von wichtiger Regierungsarbeit
Großbritannien sollte sich beeilen, die ganze Sache zu erledigen, ergänzt The Daily Telegraph:
„Zum Wohle des Landes muss diese Angelegenheit schnell geklärt werden. Wenn die Polizei keine Einwände gegen die Veröffentlichung des Untersuchungsberichtes von Sue Gray hat, sollte es keine weitere Verzögerung geben. ... Ebenso sollte die Polizei ihre Ermittlungen beschleunigen und sie nicht wochenlang hinausziehen. ... Darüber hinaus gibt es wichtige Angelegenheiten, mit denen sich das Land konfrontiert sieht, die Stabilität erfordern - nicht zuletzt die Gefahr eines Krieges in Osteuropa. Die große Gefahr, die von Partygate ausgeht, besteht darin, dass sie von den täglichen Anforderungen der Regierungsarbeit ablenkt.“
Die Party ist noch nicht vorbei
Jetzt kommt es auf Johnsons Partei an, analysiert Der Standard:
„Wenn man den Umfragen traut, hat die Öffentlichkeit ihr Urteil über den 57-Jährigen längst gefällt: Mehrheitlich halten die Briten ihren Premier für unzuverlässig, lügenhaft und zur Führung des Landes ungeeignet. ... Über sein Schicksal aber entscheidet die konservative Unterhausfraktion. Erst wenn eine Mehrheit dieser 359 Männer und Frauen den großen Sieger der jüngsten Unterhauswahl satthat, schlägt Johnson die letzte Stunde.“