Wie Selenskyj an die Weltgemeinschaft appelliert
Seit Beginn des Krieges wendet sich Selenskyj immer wieder an Parlamentarier: Zunächst erinnerte er die EU-Abgeordneten daran, dass die Ukraine zur europäischen Familie gehört. Vor dem US-Kongress rief er Pearl Harbor und 9/11 ins Gedächtnis. Vor dem britischen Unterhaus zitierte er Churchill und zuletzt sprach er im Bundestag von einer neuen Mauer, die Putin durch Europa ziehe. Wie wirksam ist diese Strategie?
So geht Krisenmanagement
Von Selenskyjs Auftritten sollten andere Politiker lernen, findet Eesti Päevaleht:
„Für die Ukrainer selbst war wohl Selenskyjs Lächeln am wirkungsvollsten, als er nach den ersten kritischen Tagen vor dem Präsidentenpalast einen guten Morgen wünschte. Jetzt wirkt sein Charme auch auf die führenden Politiker des Westens. Die Botschaften sind Meisterklasse: einfach, klar und aufs Auditorium abgestimmt. Genauso muss funktionierende Krisenkommunikation aussehen. Überzeugend, menschlich, klar verständlich und ehrlich wirkend. Die Wellen des von Russland initiierten Krieges werden uns mit Flüchtlingen und Wirtschaftsschocks bald erreichen. Es ist Zeit, von den Profis zu lernen, damit das Krisenmanagement nicht wieder in einem Wirrwarr widersprüchlicher Botschaften versinkt.“
Das geht unter die Haut
Die kommunikative Strategie Selenskys hat eine große Wirkung, meint The Guardian:
„Vor den deutschen Abgeordneten zeigte der 44-Jährige per Video erneut die für ihn typische Mischung von Leidenschaft, Stolz und Trotz. Er verknüpfte brutal-lebendige Schilderungen vom Leiden seines Volkes mit Bitten um Hilfe und der Berufung auf gemeinsame Ideale, einer gemeinsamen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Aber es waren die Verweise auf die Geschichte des jeweiligen Landes und die Andeutung, dass das alles auch den Anderen passieren könnte, die besonders berührten. ... Einige seiner Bitten - insbesondere die einer Flugverbotszone, die von der Nato und EU aus Angst vor einem direkten Konflikt mit Russland nicht berücksichtigt wird - mögen nicht erfüllt werden, umsonst waren sie aber nicht.“
Bloß nicht die Hände schmutzig machen
Emotional berührt hat Selenskyj die deutsche Politik, doch zu weiteren konkreten Zusagen lässt sie sich nicht hinreißen, schimpft die Neue Zürcher Zeitung:
„Welche Waffen könnte und sollte die Bundesrepublik noch an die Ukraine liefern? Hält die Bundesregierung an ihrer Absage an ein Öl- und Gasembargo gegen Russland fest? ... Solche und andere Fragen beschäftigen nicht nur das ukrainische Staatsoberhaupt. ... Doch mit der Mehrheit ihrer Stimmen schmetterten die Abgeordneten der 'Ampel'-Regierung den Antrag ab, die Tagesordnung zu unterbrechen. ... Als Vertreter einer vermeintlich historisch geläuterten Nation formuliert man hierzulande für sein Leben gerne Solidaritätsadressen, macht sich aber äusserst ungern solidarisch die Hände schmutzig.“
Hoffnung ist noch kein Sieg
Der ukrainische Präsident verkörpert für Népszava eine Hoffnung, die kaum Chancen hat, erfüllt zu werden:
„Selenskyj spielt die Rolle des zum Tode geweihten Präsidenten erschreckend gut. Solange er atmen kann und in Kyjiw ist, ist der Widerstand ungebrochen. Egal, wie viele Opfer, Zerstörung und Flüchtlinge es gibt, die Ukrainer sind immer zuversichtlicher: Noch ein bis zwei Wochen oder vielleicht ein bis zwei Monate und Putin wird seine Soldaten nach Hause holen. Objektiv gesehen gibt es freilich wenig Hoffnung darauf, dass dies wirklich der Fall sein wird.“