Kriegsfolgen für die Weltwirtschaft
Die schon vor dem Ukraine-Krieg hohen Energiepreise steigen weiter, die Inflation liegt in vielen Ländern Europas mittlerweile um die sieben Prozent. Nahrungsmittel, insbesondere Weizen und Sonnenblumenöl, für die Russland und die Ukraine bedeutende Produzenten sind, sind wesentlich teurer geworden. Kommentatoren befürchten in unterschiedlichem Ausmaß eine ernste Wirtschaftskrise.
Uns stehen schwierige Jahre bevor
Die Wirtschaftsexpertin Katarzyna Kucharczyk blickt in Rzeczpospolita pessimistisch in die polnische Zukunft:
„'Revalorisierung' - zum Glück kennen meine Kinder dieses Wort noch nicht und fordern keine Erhöhung ihres monatlichen Taschengeldes, aber das ist nur eine Frage der Zeit. Sie merken schon jetzt, dass der gleiche Betrag für immer kleinere Einkäufe ausreicht. ... Uns stehen schwierige Jahre bevor. Hohe Ausgaben erhöhen das Haushaltsdefizit und führen in erheblichem Maße zu steigenden Preisen, was die Inflation anheizt. ... Wir sollten uns nicht der Illusion hingeben, dass Polen bald in die Gruppe der Länder mit einer wohlhabenden Gesellschaft und einer hohen Sparkultur aufsteigen wird. Wir sind ein Land im Aufbau und werden es noch lange bleiben.“
Die Schwarzmalerei ist völlig überflüssig
Trotz der wachsenden wirtschaftlichen Probleme hat die Regierung Orbán weiterhin alles im Griff, meint die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Sowohl bei den Exporten als auch bei den Importen ist Ungarns Wirtschaft verletzlich. ... Dennoch ist festzustellen, dass trotz äußerer Schockwellen die ungarische Wirtschaft in diesem Jahr in einer Bandbreite von drei bis fünf Prozent wachsen wird. Die Senkung des Budgetdefizits wiederum lässt sich durch ein vorübergehendes Aussetzen staatlicher Investitionen bewerkstelligen. Mithin ist die Situation gar nicht so düster. ... Die Weltuntergangsstimmung der Regierungskritiker ist demnach vollkommen überflüssig.“
Über den eigenen Tellerrand hinausblicken
Der Preisanstieg in Großbritannien sollte nicht von den globalen Folgen der Inflation ablenken, mahnt The Guardian:
„Die Welternährungsorganisation der UN prognostiziert für Somalia, dass in den nächsten zwei Monaten mehr als 6 Millionen Menschen von 'Krise, Notfällen und extremer Hungersnot' betroffen sein werden. Nächste Woche fliegen Finanzminister der ganzen Welt zu ihrer Frühjahrstagung mit der Weltbank und dem IWF nach Washington. Dort sollten sie die humanitäre Hilfe vereinbaren, die am Horn von Afrika, in Afghanistan und anderswo benötigt wird. Sie könnten die Umstrukturierung der Schulden ärmerer Länder, eine Streichung unzahlbarer Schulden und die Aussetzung von Kreditzinsen beschließen. “
Neue Notlage
Die rasante Entwicklung der Inflation bereitet Le Soir große Sorgen:
„Die Inflation verschlingt auf der einen Seite die Kaufkraft und andererseits schadet sie der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen. ... Auf Dauer kann dies die Konjunktur bremsen und Jobs kosten. Allen Regierungen steht aktuell das Wasser bis zum Hals angesichts des Drucks, der steigenden Sorge von Verbrauchern und Unternehmen zu begegnen, die ihre Rechnungen in die Höhe schießen und ihren Lebensstandard bedroht sehen. … Zumal die Preissteigerung in einem Rhythmus erfolgt, den man kaum zu bremsen weiß. ... Diesmal ist das Portemonnaie der 'Leute' in Gefahr, und das sagt viel über das wirkliche Ausmaß und die potenzielle Gefahr der neuen Herausforderung aus, die sich der Politik aufzwingt.“
Schon wieder harte Zeiten
Portugals neue Regierung muss die Bevölkerung gut vorbereiten, schreibt Jornal de Notícias:
„Die Auswirkungen des Konflikts zwischen Ukrainern und Russen haben alle Pläne abrupt zunichte gemacht. Von [Regierungschef] Costa wird erwartet, dass er den Sinn dafür hat, kriegsbedingte neue Gräben auszuheben, und die wirtschaftlichen Folgen zu erkennen. ... Es geht darum, den Portugiesen ohne Populismus oder Alarmismus, aber in Wahrheit den Ernst der Lage zu vermitteln. ... Dies wird die dritte abrupte Verarmung des Landes in diesem Jahrtausend sein, die ihre Spuren bei den jüngeren Generationen hinterlässt und die Erwartungen von vielen Millionen Bürgern zunichtemacht. Es ist ein Glück, dass wir die Unterstützung der EU haben, aber das sollte uns nicht erlauben, uns zurückzulehnen.“
Europa produziert auf Pump billige Lebensmittel
Putins Krieg legt die Fehler der EU-Agrarpolitik offen, meint Die Presse:
„Energie (vor allem Diesel) und Kunstdünger machen ein Fünftel der Produktionskosten der Getreidebauern aus, erinnert das Europaparlament in einem Entschließungsantrag. In beiden Fällen ist die EU fast komplett von Importen abhängig, vor allem aus Russland und Belarus. Wieso hat sich niemand überlegt, ob das vernünftig ist? Europa produziert auf Pump billige Lebensmittel, weil das tägliche Schnitzel für viele Politiker ein Artikel in der EU-Grundrechtscharta zu sein scheint. Dafür nehmen wir die Auslaugung der Böden in Kauf, die Überdüngung, die Vergiftung des Grundwassers mit Nitraten. Diese Kosten für die Allgemeinheit finden aber keinen Einfluss in die Preise im Supermarkt.“
Schnell die Lage für die Bürger stabilisieren
Man muss nun schnell handeln, damit rechtsradikale Parteien nicht im trüben Wasser fischen, meint El Periódico de Catalunya:
„Vox entwickelt sich zu der Partei, die aus den Unruhen Kapital schlagen will, da sie weiß, dass aufgebrachte Menschen auf der Straße die Regierung destabilisieren und die Wahlchancen von Vox erhöhen könnten. ... Die Maßnahmen zur Bewältigung der Krise sind dringend. ... Die Regierung argumentiert, dass man die Tagung des Europäischen Rates am 24. und 25. März abwarten müsse, um über die Entkopplung des Gaspreises vom Strompreis zu entscheiden. ... Aber es gibt andere europäische Regierungen, die ebenfalls betroffen sind und die bereits eine Senkung der Kraftstoffpreise vorgezogen haben. Vielleicht sollte unser Land diesem Beispiel folgen.“
Zwischen Putins Skylla und Charybdis
Der Chefredakteur von Kathimerini, Alexis Papachelas, schreibt:
„Die steigenden Lebenshaltungskosten und die Unzufriedenheit der Bevölkerung könnten sich auch als Geheimwaffe des russischen Präsidenten Wladimir Putin erweisen, der darauf zählt, dass die Europäer keinen der beiden Wege einschlagen, die ihnen offen stehen: Entweder sie stoppen die Gasimporte aus Russland und lassen ihre Länder für mindestens ein Jahr in einer noch tieferen Rezession und sozialen Krise versinken, oder sie reagieren militärisch. Es ist nicht leicht für einen westlichen Staatschef, sich zwischen Hunger und Krieg entscheiden zu müssen. Und es scheint unglaublich, dass wir in Europa im Jahr 2022 überhaupt darüber sprechen.“
Tourismussektor schützen
Die Reisebranche hat für die Türkei eine wichtige Funktion und sollte deshalb staatliche Hilfen erhalten, fordert Hürriyet:
„Bei uns rechnet der Sektor für die kommenden sieben bis acht Jahre mit mindestens 100 Millionen Touristen und mit Devisen-Einnahmen in Höhe von 100 Milliarden Dollar, und übernimmt damit eine Art Garantenfunktion für unsere nationale Wirtschaft. ... Angesichts der derzeitigen Unsicherheit müssen die Vertriebskanäle mit einem Sonderbeschluss unter Schutz gestellt werden. ... Deutschland hat es geschafft, während der Pandemie die größte Tourismusmarke des Landes TUI mit einem Kredit in Höhe von drei Milliarden Euro am Leben zu halten.“
Es geht auch ohne Russland
Neben Litauen, Estland, Deutschland, Polen und Großbritannien war Russland bis jetzt ein wichtiger Handelspartner für Lettland. Man sollte die Rolle des östlichen Nachbarn nicht überbewerten, meint die Diena:
„Dem Durchschnittskunden wird das Verschwinden russischer Waren gar nicht auffallen, es gibt Alternativen in allen Bereichen. Die lettische Tourismusbranche hat gelernt, in zwei Jahren der Covid-19-Pandemie auf Reisende aus Russland zu verzichten. Viele Unternehmen betrachten das Land bereits seit 2014 als riskanten Partner, als es die Krim besetzte und infolgedessen Sanktionen zwischen Russland und dem Westen verhängt wurden. ... Unser Land hat schon in den 1990er Jahren sehr wertvolle Erfahrungen bei der Transformation seiner Wirtschaft in Richtung Westen gesammelt.“
Ethik als Selbstschutz
Wir müssen die Globalisierung moralischer gestalten, drängt Ökonom Étienne de Callataÿ in La Libre Belgique:
„Sind Privatfirmen sich selbst überlassen, streben sie nach Kostenminimierung für ihren Einkauf und akzeptieren es, ihn zu konzentrieren, selbst wenn sie sich dadurch von einem Land mit autokratischem oder instabilem Regime abhängig machen. Corona hat die mangelnde Resilienz der Wertschöpfungskette der Marktwirtschaft offenkundig gemacht. Die russische Invasion ist noch expliziter, indem sie unsere Wirtschaften zu Geiseln des Angreifers macht und somit unsere Reaktionsfähigkeit schwächt. Den internationalen Handel mit ethischen Regeln auszustatten, ist nicht nur eine prinzipielle Forderung, sondern auch eine politische Notwendigkeit!“
Brotpreise werden zu Unruhen führen
Die steigenden Getreidepreise machen Polityka Sorgen:
„Die oft als 'Kornkammer Europas' bezeichnete Ukraine kann zumindest vorläufig keinen wesentlichen Beitrag zur Verbesserung der Lage auf dem Weltmarkt für Nahrungsmittel leisten. Die Ukraine hatte im letzten Jahr sogar die USA bei den Getreideexporten überholt, und stieg damit nach Russland und Australien zum drittgrößten Lieferanten auf. ... Steigende Brotpreise könnten auch in anderen Ländern leicht zu gewaltsamen Protesten der Bevölkerung führen. ... Eine solche gesellschaftliche Unzufriedenheit wurde in den letzten Tagen bereits in Marokko festgestellt. In Tunesien, das schon vor der russischen Invasion in die Ukraine große Schwierigkeiten hatte, importiertes Getreide zu bezahlen, wird die Lage von Tag zu Tag schwieriger.“
EZB ist entzaubert
Aufgrund der zu erwartenden Kriegsfolgen schließt die Europäische Zentralbank Zinserhöhungen nicht mehr aus. Ihr Handlungsspielraum ist aber eng, glaubt die Frankfurter Rundschau:
„Die hohe Inflation zwingt sie zur Straffung der Geldpolitik, extrem vorsichtig, denn stärkere Maßnahmen könnten die von den Kriegsfolgen bedrohte Konjunktur abwürgen. Geldpolitisch ist ohnehin wenig auszurichten gegen die steigenden Energiepreise als Haupt-Inflationstreiber. Die EZB hat erneut ein Zeitfenster verpasst und zu spät auf Inflationsbekämpfung gesetzt. Auch ist sie derzeit als Krisenmanagerin nicht sehr gefragt. Diese Tage bringen auch so etwas wie die Entzauberung der Zentralbank.“
Zeit für eine große Steuerdebatte
Estland braucht jetzt eine stabile und langfristige Budget-Planung, mahnt Õhtuleht:
„Unter den Bedingungen des Ukraine-Krieges ist klar, dass weitere Preis-Schocks anstehen können. Wenn der Staat auf jeden Preissprung mit Senkung der Benzinabgabe oder Mehrwertsteuer reagiert, womit sollen dann die Ausgaben finanziert werden, die wegen des Kriegs und der Sanktionen stark ansteigen werden? Auch für die Aufstockung des Verteidigungsetats wird Geld nötig sein. Langfristig wird es also nicht helfen, einzelne Steuern anzupassen. Stattdessen wäre ein Jahr vor der Wahl genau der richtige Zeitpunkt, die Debatte über eine grundlegende Steuerreform in Estland zu beginnen.“
Back in the USSR
The Insider sieht Russland in die Planwirtschaft zurückfallen:
„Wir haben uns nicht einfach nur eine harte ökonomische Krise eingehandelt, sondern den Zerfall des ganzen Wirtschaftsmodells. Die Zeit ist um 30 Jahre zurückgesprungen, wir erreichen wieder den Wendepunkt 1991, nur in Gegenrichtung. Und 1984 scheint auch nicht mehr weit. ... Aktien russischer Unternehmen können für kein Geld der Welt verkauft werden. Seit 27. Februar teilt die Zentralbank jeden Tag mit, dass am nächsten Tag der Handel am Aktienmarkt ausgesetzt bleibt. Faktisch heißt das, dass alle großen Privatkapitale auf Null gesetzt sind. Was wird jetzt aus deren Besitzern? Schlichte Hauptverwalter ihrer Firmen. Ihre Rolle wird sich nicht von der spätsowjetischer Direktoren unterscheiden.“