Frankreich: Neues Linksbündnis für Parlamentswahl

Die radikal linke La France Insoumise (LFI) will zusammen mit den Sozialisten (PS), der Kommunistischen Partei (PCF) und den Grünen (EELV) in einem Bündnis bei der französischen Parlamentswahl im Juni antreten. Um eine Mehrheit von Präsident Macrons frisch umbenannter Partei Renaissance zu verhindern, haben die Mitgliedsparteien die Wahlkreise untereinander aufgeteilt. Eine neue Chance für die Linke?

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Frankfurter Rundschau (DE) /

Macron muss sich anschnallen

Der Schulterschluss der Linken ist für Präsident Macron durchaus eine Bedrohung, glaubt die Frankfurter Rundschau:

„Wenn der Linkenchef [Mélenchon] die Dynamik der Volksunion im Juni in einen Wahlsieg umzumünzen vermag, muss ihn Macron wohl zu seinem Premier machen. Ein harmonisches Paar wäre das nicht. Noch scheint es wahrscheinlicher, dass Macron die Parlamentswahlen gewinnt. Aber auch dann stünde er unter massivem Druck, denn der soziale Unmut ist in Frankreich groß. Macron sollte sich für seine zweite Amtszeit anschnallen.“

News247 (GR) /

Soziale Kernkompetenz bei der Linken

Vassiliki Georgiadou, Politikprofessorin in der Panteion Universität in Athen, betont im Webportal News247:

„Im Kontext von Kettenkrisen ist die Forderung nach einem Wohlfahrtsstaat, nach sozialem Schutz, stärker denn je. Dies wird auch von liberaleren Teilen der politischen Szene anerkannt. Macron selbst spricht von der Notwendigkeit eines sozialen Schutzes, von der Erhöhung der Renten, er spricht von Sozialabgaben für Unternehmen, die hohe Gewinne machen. Alle sehen das, aber die Linke sieht es noch deutlicher, denn sie hat die thematische Kompetenz für die spezifischen Fragen, um die es geht, und sie hofft, dass ihre Wiederherstellung möglich ist. … Die linke Seite brütet etwas aus und es wäre schade, wenn der Schwung verloren ginge.“

Le Monde (FR) /

Pro-europäische Wähler werden vergrault

Die starke Dominanz von LFI im neuen Bündnis wird Präsident Macron zugute kommen, meint Politologe Olivier Costa in Le Monde:

„Sozialisten und Grüne schenken den Wählern der gemäßigten Linken wenig Beachtung, die 2017 massiv Emmanuel Macron unterstützt haben, da sie sich von seinem pro-europäischen Diskurs und seinem Reformkurs verführen ließen. ... Ihnen wird es sicher widerstreben, für die Kandidaten von LFI zu stimmen, die in der Volksunion in der Mehrzahl sind und finden, dass die europäische Integration eine Missetat ist, die französische Wirtschaft ihre Rettung im Protektionismus finden wird und die Sicherheit des Landes einen Nato-Austritt erfordert. Kurzum, Sozialisten und Grüne haben sich dafür entschieden, einen Großteil ihrer einstigen Wählerschaft in die Arme der Mehrheit des Präsidenten zu treiben.“

Mediapart (FR) /

Eine echte Chance

Auf eine Eindämmung der Macht des Präsidenten hofft Edwy Plenel, Herausgeber von Mediapart:

„Eine weitere fünfjährige Amtszeit Emmanuel Macrons ohne Machtteilung würde die extreme Rechte 2027 dem Elysée-Palast noch näher bringen. Die einzige Chance, dies zu verhindern, ist es, dem wiedergewählten Präsidenten nicht die alleinige Macht zu lassen, indem man in der Parlamentswahl für eine neue Mehrheit sorgt, die eine andere Politik machen kann. Zu dieser antifaschistischen Notwendigkeit kommt noch ein demokratischer Imperativ hinzu. Die Präsidentschaftswahl hat die Erschöpfung des institutionellen Systems so deutlich gemacht, dass auch Verfassungsrechtler anerkennen, dass es seine Aufgabe, die Wählerschaft zu repräsentieren, nicht mehr erfüllt.“

La Vanguardia (ES) /

Sozialisten am Tiefpunkt

Dass die Sozialisten durch den Pakt Mélenchons Ambitionen auf das Amt des Premierministers unterstützen, ist für La Vanguardia ein Armutszeugnis:

„Diese vorläufige Einigung ermöglicht bereits eine Analyse ihrer Folgen für die französische Linke und insbesondere für die Frage, wer ihr Erbe antreten darf, das nun Mélenchon zukommt, der bis 2008 Mitglied der Sozialistischen Partei Frankreichs war. ... Die Tatsache, dass diese sich nun bereit erklärt hat, in dem von Mélenchon geführten Bündnis zu rudern, bestätigt ihren Niedergang und die schmerzliche Bekenntnis dazu. ... Die Sozialistische Partei Frankreichs, aus der paradoxerweise sowohl Macron als auch Mélenchon stammen, steht am Tiefpunkt.“

Le Temps (CH) /

Zukunftsperspektive für linke Bewegung

Auch wenn das neue Linksbündnis vermutlich keine Mehrheit erreichen wird, begrüßt Le Temps den Zusammenschluss:

„Das eigentliche Ziel ist es, zu existieren und einer Bewegung, die nie verschwunden war und die in einer Jugend, die sich sehr für Gleichstellungs- und Klimafragen einsetzt, womöglich präsenter ist als je zuvor, wieder eine Zukunftsperspektive zu geben oder ihr einfach zu neuer Glaubwürdigkeit zu verhelfen. ... Die drei Pole, die sich in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen herauskristallisiert haben, werden auch in Zukunft bestehen bleiben: eine identitäre extreme Rechte, die ihren Grad an Wirtschaftsliberalität noch festlegen muss, eine breite präsidiale Mitte und eine Linke, die keine Angst davor hat, sich als radikal zu bezeichnen. “

Les Echos (FR) /

Ein fatales Szenario

Les Echos bangt:

„Man muss eine tiefe Faszination für den Nihilismus hegen, um den Schwindel von einer regierungsfähigen linksextremen Partei für glaubwürdiger zu halten als die angebliche Normalisierung der extremen Rechten. Mélenchon als Premierminister? Man kneift sich! Ist unser Land wirklich, jetzt, wo der Krieg nach Europa zurückgekehrt ist, dazu geneigt, sich einem Premierminister mit so schwankenden Überzeugungen wie denen von Jean-Luc Mélenchon anzuvertrauen? Einem Regierungschef, der unfähig ist, sich von seinem pro-russischen Überzeugungen zu verabschieden, der die Invasion der Ukraine nur zögerlich verurteilte und der auf der Seite der Machthaber des in Trümmern liegenden Venezuelas steht?“

TVXS (GR) /

Aussicht auf Cohabition

Der EU-Abgeordnete von Syriza und Kolumnist Stelios Kouloglou reflektiert in TVXS über die wahrscheinliche Aufgabenteilung, falls das Linksbündnis erfolgreich wird:

„Wenn die ökologisch-linke Front gewinnt, kommt es zu einer Cohabitation, wie es schon dreimal in der Geschichte der Fall war, mit einem rechten Präsidenten und einer linken Regierung oder umgekehrt. Nach der Verfassung sind die Verteidigung und die auswärtigen Angelegenheiten allein Sache des Präsidenten, während die Gesetze in die Zuständigkeit des Parlaments und der Regierung fallen. Natürlich hat der Präsident das Recht, einen Premierminister seiner Wahl zu ernennen, aber das würde eine tiefe Verfassungskrise auslösen und ist bisher noch nie versucht worden.“