Ukraine-Krieg: Raushalten oder einmischen?

Angesichts des Kriegs von Russland gegen die Ukraine stellen sich immer mehr Staaten grundsätzliche Fragen über ihre Position in der Weltpolitik: Neutrale Länder wie die Schweiz und Österreich ringen um ihre Rolle. Andere debattieren weiter über die Folgen militärischer Unterstützung für Kyjiw. Für europäische Kommentatoren wird die Debatte nicht ehrlich geführt.

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Aargauer Zeitung (CH) /

Wir müssen über Waffen und Munition sprechen

Die Aargauer Zeitung plädiert für mehr Substanz in der Debatte:

„Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht ein Politiker oder eine Politikerin feststellt, die klassische Neutralität habe ausgedient. Oder: Wir müssen die Neutralität neu definieren. ... Mit der Übernahme der EU-Sanktionen hat der Bundesrat seinen Spielraum ausgenützt. An vielen Schrauben kann die Schweiz sonst nicht drehen. Wer die Neutralität neu definieren will, kommt deshalb an einer Diskussion über die Exporte von Rüstungsmaterial nicht herum. Bei Waffen und Munition entscheidet sich, wie weit die Schweiz bereit ist, ihre Neutralität neu zu gestalten.“

dieSubstanz.at (AT) /

Innenpolitische Motive

Der Blog dieSubstanz.at empfindet Wiens Kurs gegenüber Moskau als feige:

„[M]aßgebend scheint für Österreich … zu sein, Russland und Wladimir Putin nicht zu sehr gegen sich aufzubringen. Und nach innen einen Schein von Neutralität zu wahren. Ausgesprochen wird nichts davon. Vielleicht ist auch schlechtes Gewissen dabei, geht es unter anderem doch um zutiefst innen- bzw. parteipolitische Motive: Eine deutliche Mehrheit der Wählerinnen und Wähler fordert mehr denn je, dass man sich aus Konflikten raushält. Dem wird Rechnung getragen, um diese Wählerinnen und Wähler nicht allein den [rechtspopulistischen] Freiheitlichen zu überlassen.“

Deutsche Welle (BG) /

Bulgariens Neutralität ist reine Heuchelei

Die Regierung in Sofia muss ihre widersprüchliche Haltung aufgeben, fordert der bulgarische Dienst der Deutschen Welle:

„Empört über die russische Aggression, unterstützt ein Großteil der Welt heute Kyjiw. Vor diesem Hintergrund betrachten immer mehr Wähler in Bulgarien die Haltung zwischen allen Stühlen als Kleinmut und schlecht versteckten Putinismus. ... Präsident Rumen Radev will, dass Bulgarien den Kreml nicht verärgert, nennt diejenigen, die für Waffenlieferungen sind, Militaristen und Scharlatane. Dabei ist es ohnehin ein offenes Geheimnis, dass bulgarische Waffen seit langem über Polen, Tschechien und die Slowakei einen Weg in die Ukraine gefunden haben. Anstatt über Neutralität ist eine Debatte über die politische Heuchelei notwendig.“

De Standaard (BE) /

Viel zu moralisch

Deutschland ringt weiter mit seiner Haltung gegenüber Russland, analysiert der politische Philosoph Luuk van Middelaar in De Standaard:

„[Es gibt eine] tiefe deutsche Sehnsucht, auf der 'richtigen Seite der Geschichte' zu stehen: Zu der guten Seite gehört: nie mehr Hitler. … Das führte zu einer deutschen Außenpolitik, die in Begriffen von Werten spricht statt klassischer Staatsräson und strategischen Interessen. Mit diesem Ansatz gewann das Land internationale Anerkennung. … Aber zwei Nachteile springen ins Auge. Erstens: Man ist angreifbar für den Vorwurf der Scheinheiligkeit. … Und Über-Moralisierung. Bis vor Kurzem ging es in der Russlanddebatte um Frieden, Stabilität und (Kriegs-)Schuld gegenüber der Sowjetunion. … Jetzt ist es: Gerechtigkeit, Demokratie, ukrainisches Leiden.“