Sollen neutrale Staaten ihre Position ändern?
Die Nato-Beitrittsanträge von Schweden und Finnland haben auch in der Schweiz und in Österreich eine erneute Debatte dazu ausgelöst. 75 Prozent der Österreicher lehnen einen Nato-Beitritt nach wie vor ab, ergab eine Umfrage des Instituts für Demoskopie und Datenanalyse. Für Kommentatoren steht dennoch einiges zur Diskussion.
Neutralität ist Mittel, nicht Zweck
René Rhinow, Rechtsprofessor und ehemaliger Politiker der liberalen FDP, erinnert in der NZZ an die Spielräume innerhalb des Konzepts:
„Die schweizerische Neutralität wurde stets als flexibles Instrument der Sicherheitspolitik, nicht als eigentliches Ziel aufgefasst. Seit 1993 rückte der Bundesrat von der restriktiven Neutralitätspolitik der Nachkriegszeit ab und reduzierte sie auf ihren militärischen Kern ... Die Schweiz hat in erster Linie eine auf die Bundesverfassung abgestützte Aussen- und Sicherheitspolitik zu führen. ... Die kriegsbezogene Neutralität stellt ein Instrument dar, das an diesen verfassungsmässigen Zielen zu messen ist - und nicht an Erfolgen in der Vergangenheit.“
Beitritt bringt im Moment keinen Vorteil
Redakteur Kurt Seinitz hält in der Kronen Zeitung die Neutralität für kein Auslaufmodell:
„Der Vergleich mit Skandinavien hinkt. Die Nordländer haben Russland vor der Haustür und fühlen sich bedroht, Österreich hat die neutrale Schweiz vor der Haustür und ist von Nato-Staaten umgeben. Wir sind Trittbrettfahrer. Das heißt wohl, dass man auch über unsere Neutralität - ergebnisoffen - diskutieren sollte. Ein Systemwechsel müsste allerdings einen gewaltigen Mehrwert bieten. Einen solchen sehe ich bis auf Weiteres nicht. ... Aktuell gilt es, Österreich aus dem Krieg und seinen Folgen herauszuhalten. ... Spätere Zeiten werden dann neue Anlässe bieten, um über die österreichische Sicherheitsarchitektur zu entscheiden.“
Neue Ära der Blockbildung
Der Politikwissenschaftler Cyrille Bret kommentiert in La Tribune:
„Egal, ob die Nichtmitgliedschaft in der Nato frei gewählt wurde (Österreich, Irland und so weiter) oder erlitten wird (Ukraine, Georgien, Moldawien), wird jetzt nur noch die Mitgliedschaft in der Allianz als Sicherheitsgarantie angesehen. In Kürze werden alle Staaten im europäischen Raum im weiteren Sinn gezwungen sein, Partei zu ergreifen: Das bedeutet für Europa ein Ende der Neutralität, und das Verschwinden von Pufferzonen und mehrdeutigen oder ausgleichenden Haltungen. Es bilden sich nach und nach militärische Blöcke heraus, was zur Folge hat, dass Europa künftig von einer dauerhaften Frontlinie durchzogen sein wird.“