Saporischschja: Das Spiel mit der nuklearen Angst
Der wiederholte Beschuss des seit Anfang März von der russischen Armee besetzten ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja hat weltweit große Sorgen ausgelöst. Der ukrainische Präsident Selenskyj warnte vor einer Nuklearkatastrophe. Medienberichten zufolge soll Russland nun eine internationale Inspektion zugesagt haben. Europas Presse versucht das Spiel zu durchschauen.
Putins atomare Erpressung
Der russische Präsident setzt seinen letzten Hebel ein, meint Dmitro Tusow, politischer Beobachter der NV:
„Was wird putin [Kleinschreibung im Original] tun, wenn er merkt, dass seine Szenarien nicht funktionieren, dass er, der Große und Furchterregende, den Krieg verlieren wird? Und er ist dabei, den Krieg in der Ukraine zu verlieren. Schließlich hatte putin auf eine konventionelle österreichische Version der Annexion gehofft - Blumen, Tränen von begeisterten Anhängern der russischen Welt. Dieser Plan hat in keiner Region der Ukraine funktioniert. Was wird putin tun, wenn er sein Scheitern erkennt? ... putin ist der festen Überzeugung, dass der Westen durch nukleare Erpressung gezwungen werden kann, die Militärhilfe für die Ukraine einzustellen.“
Die gefährliche Unterlegenheit der Russen
Die Kampfhandlungen rund um das AKW zeigen die Verzweiflung Moskaus, meint Spotmedia:
„Die Russen können an der Front mit nichts mehr drohen und verstecken sich aus Angst im Schatten des AKW Saporischschja. Das zeigt, wie verzweifelt sie sind. Das zeigt, dass sie keine Lösungen haben, um die Offensive gegen die Ukraine wieder aufzunehmen. Und es zeigt noch etwas, etwas Beängstigendes: Sie sind bereit, nukleare Optionen zu nutzen, nur, um keine Niederlage zu erleiden. Ihr Plan ist es, schnellstens ein Beitrittsreferendum für die besetzten Gebiete abzuhalten und sie Russland einzuverleiben, um dann die Ukraine mit taktischen Nuklearschlägen zu erpressen, mit der Begründung, die Ukrainer würden auf russisches Territorium vordringen.“
Machiavellismus im Stil des KGB?
La Stampa ist skeptisch:
„Präsident Selenskyj, immer auf der Suche nach starken Worten für das Skript seiner abendlichen Predigten an die Nation - und nicht nur die - hat den 'russischen Atomterrorismus' ausdrücklich angeprangert. ... Folgt man aber der Logik, ist man eher geneigt, die Anschuldigung zu bezweifeln, da das Werk seit langem von russischen Soldaten besetzt ist. Und es erscheint zumindest merkwürdig, dass sie so bösartig oder teuflisch sein könnten, sich selbst zu bombardieren. Krimineller Machiavellismus im Stil des KGB, mag ja sein. Aber sie würden eine Katastrophe auslösen, deren erste Opfer sie selbst wären.“
Schutzschild und Generator
De Volkskrant analysiert die Bedeutung des AKW für Moskaus Pläne:
„Es ist noch unklar, wer hinter dem Beschuss steckt, aber sicher ist, dass russische Truppen das Werk als Schild nutzen, hinter dem sie Angriffe auf die Ukrainer ausführen können. ... Moskau sieht das Werk als entscheidend für die Stromversorgung der Gebiete, die es entlang der Südküste besetzt hat. Moskau steuert auf ein 'Referendum' zu, um die Provinz Saporischschja Russland einverleiben zu können. Das wäre eine grobe Verletzung des internationalen Rechtes, die die Spannung rund um das Kernkraftwerk nur noch weiter schüren würde.“