Was verändert sich nach der Wahl in Lettland?
Die liberalkonservative Partei Jaunā Vienotība (Neue Einheit) des bisherigen Regierungschefs Krišjānis Kariņš hat die Parlamentswahl in Lettland gewonnen und sondiert jetzt Koalitionspartner. Die über acht Jahre größte Oppositionspartei Harmonie, die vor allem von russischstämmigen Letten gewählt wurde, verliert an Gewicht. Dafür erhält die neu gegründete pro-russische Partei Stabilität künftig elf Sitze.
Neue Gesichter durch vorbildliches Wahlsystem
Postimees bewundert das System der offenen Listen im Nachbarland:
„Fast zwei Drittel des Parlaments wurden ausgetauscht, in Estland unvorstellbar. Man muss die Besonderheit des lettischen Wahlsystems berücksichtigen. Die Wähler können beim Wählen einer Partei die einzelnen Kandidaten auf der Liste mit einem Pluszeichen nach oben oder durch Streichen nach unten rutschen lassen. Der Vorteil des lettischen Systems besteht darin, dass sehr widersprüchliche und gesellschaftlich spaltende Politiker nicht so einfach Erfolg haben wie anderswo.“
Keine radikale Wende
Obwohl ein Großteil der Abgeordneten und Parteien ausgetauscht wurde, sieht Latvijas avīze eine gewisse Stabilität im politischen Koordinatensystem:
„Gleichzeitig kann man nicht von einer radikalen Wende in der lettischen Politik sprechen, sondern von tektonischen Bewegungen in bestimmten Sektoren oder - wie es jetzt im Volksmund heißt - 'Blasen': russisch, populistisch, liberal und konservativ. Einige dieser Blasen sind ein wenig abgeflacht, andere haben ihre übliche Form verloren, aber keine ist geplatzt oder übermäßig aufgeblasen.“
Russischsprachige Minderheit falsch eingeschätzt
Warum die bislang größte Oppositionspartei - die lange Zeit von vielen russischstämmigen Wählern bevorzugte Partei "Harmonie" - eingebrochen ist, analysiert Neatkarīgā:
„Nach dem 24. Februar verlor 'Harmonie' die Orientierung und verstand nicht mehr, in welcher Welt ihr Wähler lebt und was er denkt. Es war klar, dass ein großer Teil der lettischen ethnischen Russen pro-putinistisch ist, aber es gab Hoffnungen, dass es auch einen anderen Teil der Russen gibt, die der Politik des Kremls nicht mehr nahe stehen. 'Harmonie' hat gehofft, dass es vielleicht solche Wähler gibt, die gegen die russische Aggression in der Ukraine sind. Leider unterstützen zu viele russischsprachige Bürger Lettlands weiterhin die russische Aggression in der Ukraine.“