Schweden: Was ist von neuer Regierung zu erwarten?
Ulf Kristersson, Vorsitzender der konservativ-wirtschaftsliberalen Moderaten, ist seit Montag Schwedens neuer Regierungschef. Die bürgerliche Koalition, der er vorsteht, will eng mit den rechtspopulistischen Schwedendemokraten (SD) zusammenarbeiten. Schnittmengen gibt es vor allem bei den Themen Migration und Kriminalitätsbekämpfung. Kommentatoren sehen das mit Sorge.
Angriff auf ein Fünftel der Bevölkerung
Die neue Regierung macht Migranten zu Sündenböcken, empört sich Dagens Nyheter:
„Hört Ulf Kristersson zu, hört, was er sagt. Immer und immer wieder kommt er darauf zurück, Migration sei eine Belastung, sie zerstöre Schweden, sei die Ursache aller denkbaren gesellschaftlichen Probleme. Ein Fünftel der Bevölkerung soll allmorgendlich erwachen und sich fragen: Sind es sie, die der Ministerpräsident meint, sie, die nie hätten kommen sollen, sie, an die kommende Rückwanderungs-Kampagnen gerichtet sind? Es ist ein Angriff von höchster politischer Stelle, ein Angriff, der Menschen zerstören wird.“
Die Machtlosen sollen noch mehr unterdrückt werden
Zur Bekämpfung der Bandenkriminalität will die neue Regierung unter anderem Durchsuchungszonen einführen. Wohlhabende Wohnviertel werden davon nicht betroffen sein, ärgert sich Aftonbladet:
„[Dabei wissen wir], dass vor allem der dortige Drogenkonsum die Bandengewalt und den 'Krieg' in den [Migranten]- Vororten finanziert. ... Der Polizeistaat ist nur für gewisse Schweden da. ... So bauen wir ein Schweden, in dem die Unterschiede immer größer werden - sei es im Klassenzimmer, auf dem Arbeitsmarkt oder vor dem Gesetz. Die Repression und aufgeweichte Rechtssicherheit richten sich gegen jene, die keine Stimme in der gesellschaftlichen Debatte haben - gegen die Machtlosen. ... Und in den [kontrollierten] Gebieten werden alle betroffen sein - auch wenn die Mehrzahl nur arbeiten und anständig leben will.“
Es gibt viel zu tun
Göteborgs-Posten begrüßt den Regierungswechsel:
„Die Tatsache, dass es in Schweden Kindergärten gibt, in denen Schwedisch nicht mehr Mehrheitssprache ist, zeigt, wie stark ethnisch geprägt Segregation und das Leben im sozialen Abseits geworden sind. ... Gleichzeitig fordert die Bandenkriminalität neue Opfer, 2022 ist das bisher tödlichste Jahr. ... Dieser Realität versuchen sich die rechten Parteien und die Liberalen nun anzunehmen. Die Migration muss nachhaltig werden, um die Ausgrenzung zu durchbrechen, die die Entwicklungsmöglichkeiten für Kinder einschränkt. Die Kriminalbehörden brauchen kraftvolle Werkzeuge, um die Bandenkriminalität zu stoppen. ... Das ist Liberalismus mit Bodenhaftung.“
Macht gegen Seele
Die Bürgerlichen tun so, als seien die SD mittlerweile eine normale Partei, empört sich Kai Strittmatter, Skandinavienkorrespondent der Süddeutschen Zeitung:
„[Z]ur Erinnerung: Die SD sind die Partei, in deren Reihen unmittelbar vor der Wahl mehr als 200 Funktionäre identifiziert wurden, die durch Rassismus oder Teilnahme an Neonazi-Veranstaltungen aufgefallen waren. ... In ihrem Hunger nach Macht haben die Bürgerlichen und die Liberalen der extremen Rechten nun beispiellosen Einfluss zugeschanzt. Es sei eben ein 'Geben und Nehmen', hat sich der liberale Parteichef am Montag verteidigt. So ist das wohl: Man nimmt die lang ersehnten Ministerposten und man gibt ein Stück seiner Seele, und ehe man sich's versieht, hat man die Seele der Demokratie noch obendrauf gelegt.“
Kein Steigbügelhalter der Schwedendemokraten
Expressen widerspricht der Darstellung, die Koalition tanze nach der Pfeife der SD:
„In der Migrations- und Kriminalpolitik haben die SD erwartungsgemäß viel durchgesetzt. Aber in diesem Bereich gibt es große Schnittmengen mit den Moderaten. ... Und für mehrere Fragen haben die SD kein Gehör gefunden, so für einen Stopp jeglicher Asylmigration aus außereuropäischen Ländern. ... Auch die Darstellung, die Liberalen seien im Zuge der Zusammenarbeit zum Fußabtreter geworden, darf in Frage gestellt werden. Keine andere Partei hat so vehement für neue Kernkraft, die Aufrüstung des Heeres und einen schwedischen Nato-Beitritt geworben. All das kann sie nun durchsetzen. ... Glauben sie nicht die Behauptung, die neue rechte Zusammenarbeit sei das Werk der SD.“