Ukraine darf mit US-Waffen Ziele in Russland angreifen

Joe Biden hat der Ukraine laut übereinstimmenden Medienberichten die Erlaubnis gegeben, militärische Ziele im russischen Gebiet Kursk mit US-Raketen mit bis zu 300 Kilometer Reichweite anzugreifen. Der Schritt ist ein Bruch mit der bisherigen Politik Washingtons. Was steht dahinter und wie wirkt er sich auf den weiteren Kriegsverlauf aus?

Alle Zitate öffnen/schließen
Ilta-Sanomat (FI) /

Noch einmal die Allianz bekräftigt

Die Freigabe durch US-Präsident Joe Biden ist durch die anstehende Amtsübergabe motiviert, schreibt Ilta-Sanomat:

„Der designierte Präsident Donald Trump verspricht ein schnelles Ende des Krieges. Die Befürchtung ist, dass dies zu Russlands Bedingungen geschehen könnte. Bidens Entscheidung könnte also als Reaktion auf Trumps Absichten gesehen werden. In den verbleibenden Wochen seiner Amtszeit wird er versuchen, der Ukraine so viel Hilfe wie möglich zukommen zu lassen. Trumps Pläne sind unklar. ... Aber Biden hat eine Allianz zur Unterstützung der Ukraine geschaffen, ohne die das Land den Krieg gegen Russland längst verloren hätte.“

Frankfurter Rundschau (DE) /

Ein letzter Kraftakt, bitte!

Jetzt muss auch Scholz endlich sein Veto gegen die Lieferung von Taurus-Marschflugkörpern aufgeben, fordert die Frankfurter Rundschau:

„Es geht dabei nicht darum, die Ukraine in die Lage zu versetzen, Terror in russischen Städten zu verbreiten. Im Gegenteil: Putins Terror gegen ukrainische Städte könnte mit den deutschen Raketen eingedämmt werden – zum Beispiel durch Angriffe auf Flugplätze, von denen russische Kampfjets zu ihren mörderischen Gleitbombeneinsätzen starten. ... Biden und Scholz sind beide 'Lame Ducks' – Politiker, die nur noch wenig zu melden haben, weil sie entweder aus dem Amt ausscheiden oder zumindest vor Neuwahlen stehen. Sie sollten die ihnen verbleibende Zeit zu einem Kraftakt nutzen, um massive Unterstützung für die Ukraine zu mobilisieren.“

La Libre Belgique (BE) /

Europa kann nicht nur zusehen und abwarten

Die EU muss entschlossener auftreten, drängt La Libre Belgique:

„Insbesondere Frankreich und Deutschland scheinen sich beengt zu fühlen und in heiklen internen politischen Überlegungen verfangen zu sein. Europa kann jedoch nicht im Hintergrund bleiben. Die Ukraine unterstützen bedeutet auch, die nationale Souveränität und das internationale Recht zu verteidigen und gleichzeitig zu verhindern, erneut das Risiko einzugehen, Russland dazu zu ermuntern, seine Expansion in Richtung anderer Länder wie der baltischen Staaten oder Finnland fortzusetzen. ... Während die USA ihre Unterstützung neu justieren, muss Europa seine strategische Rolle wahrnehmen. Es kann sich nicht mit einer abwartenden Haltung begnügen und erst recht keine Diplomatie vollendeter Tatsachen gutheißen.“

BBC (GB) /

Nicht kriegsentscheidend

Nach Ansicht der BBC hat der Schritt weniger militärische als vielmehr psychologische Bedeutung:

„Dass Beschränkungen für den Einsatz von Langstreckenwaffen fallen, wird sich sowohl symbolisch als auch strategisch auswirken. Die Ukraine hat nur begrenzte Mengen dieser Waffen erhalten – Hunderte, nicht Tausende. US-Militärvertreter argumentieren schon seit Langem, dass ein einzelnes Waffensystem den Krieg nicht entscheiden könne und dass viele wichtige russische Ziele – wie etwa Flugplätze – weiterhin außerhalb der Reichweite seien. ... Dennoch ist es ein erheblicher psychologischer Schub für die Ukraine zu einer Zeit, in der ihre Verteidigung bröckelt.“

Visão (PT) /

Gefahr einer weiteren Eskalation

Die Entscheidung Bidens wird diesem Krieg eine neue Dynamik geben, warnt Visão:

„Nach 1.000 Tagen ist der Krieg in der Ukraine zu einem echten Kriegsschauplatz geworden, auf dem alle Arten von neuen und alten Waffen in einer realen Umgebung getestet werden. Dadurch wird es im militärischen Denken und in der militärischen Strategie zu zahllosen Veränderungen kommen, wobei die Streitkräfte zukünftig weniger auf Quantität als vielmehr auf hochwirksame und kostengünstige Zerstörungsausrüstung setzen. Und schließlich hat Joe Biden den Einsatz von Langstreckenwaffen auf russischem Gebiet genehmigt. ... Das ist eine Eskalation der Gewalt, die mit Blick auf den Kreml Konsequenzen haben wird. Drohungen und Vergeltungsmaßnahmen werden nicht ausbleiben.“

La Stampa (IT) /

Der Kreml wird das nicht hinnehmen

Laut La Stampa will Russland die Ukraine bis zur Vereidigung Trumps in die Knie zwingen:

„Joe Bidens Erlaubnis beendet das lange Zögern, das von der Angst vor einer 'Eskalation' genährt wurde. Die Eskalation ist aber schon da, sie ist für alle sichtbar, und sie wird von Russland befeuert. ... Die Offensive der russischen Truppen hat ein klares und eindeutiges Ziel. ... Am 20. Januar 2025 [Amteinführung von Donald Trump] soll ein Großteil des ukrainischen Territoriums unter russischer Kontrolle und der Gegner am Rande der Auslöschung sein. Dann könnte der Konflikt 'eingefroren' werden, wie es Donald Trump laut verschiedener Berichte offenbar vorschwebt – und zwar zu Bedingungen, die für Russland maximal vorteilhaft wären.“

Satakunnan Kansa (FI) /

Im Zweifel sind ukrainische Interessen zweitrangig

Satakunnan Kansa befürchtet, dass die Ukraine am Ende als großer Verlierer dastehen könnte:

„Es ist davon auszugehen, dass die Unterstützung der USA für die Ukraine nachlassen und die Verantwortung stärker auf Europa übergehen wird. Die große Sorge ist jedoch, dass Europa weder über die Führungsstärke noch über die Ressourcen verfügt, um diese Verantwortung zu schultern. Im schlimmsten Fall wird die Ukraine trotz großer Versprechen zu einer schwer zu akzeptierenden Friedenseinigung mit Russland gezwungen werden. Ist es doch kaum vorstellbar, dass Russland die eroberten Gebiete aufgeben wird. … Die Interessen der Ukraine sind Nebensache, wenn sie jenen der großen Länder im Wege stehen. ... Aus Sicht Finnlands ist diese Entwicklung besorgniserregend.“