US-Midterms: Was steht auf dem Spiel?

Das Rennen um die Sitze im US-Kongress verläuft knapper als erwartet: Nach Schließung der Wahllokale und Auszählung eines Teils der Stimmen blieb bislang unklar, ob sich Demokraten oder Republikaner die Mehrheit in Abgeordnetenhaus und Senat sichern konnten. Kommentatoren fragen nach der Bedeutung des Wahlausgangs für Innen- und Außenpolitik.

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Telegram (HR) /

Älteste Demokratie am Abgrund

Können die Republikaner überhaupt eine Niederlage akzeptieren, fragt Telegram:

„In den Händen Donald Trumps hörte die Republikanische Partei auf, eine demokratische Partei zu sein und erkennt Wahlergebnisse nur dann an, wenn die Republikaner siegen. ... Was wird passieren, wenn die Wahlergebnisse nicht schnell genug bekannt sind und die MAGA-Republikaner [Make-America-Great-Again] ihren Sieg verkünden? Folgen Angriffe auf Wahlbüros und deren Angestellte? Werden bewaffnete Milizen versuchen, die Macht zu übernehmen? Diese Fragen würde man eher bei Wahlen im Südsudan erwarten, doch sind sie leider heutzutage legitime Fragen bei den Wahlen der ältesten Demokratie der Welt.“

Rzeczpospolita (PL) /

Trumps Rückkehr ist gefährlich für Polen

Rzeczpospolita warnt:

„Trump wird nun einige Tage damit verbringen, die Ergebnisse der Wahlen vom Dienstag zu analysieren, bevor er in einer Woche offiziell verkündet, dass er wieder antritt. Und er wird in einen erbitterten Krieg gegen Joe Biden ziehen, in einen Kulturkampf, in einen Streit über angebliche Manipulationen vor zwei Jahren. ... Wenn die Republikaner die Mehrheit im Repräsentantenhaus gewinnen, werden sie alle Initiativen von Präsident Biden blockieren. ... In Anbetracht der Tatsache, dass die USA heute zum wichtigsten Garanten unserer Sicherheit geworden sind und die Ukraine ohne ihre Unterstützung schon längst von russischen Panzern überrollt worden wäre, könnte dies eine sehr riskante Zeit für Polen werden.“

Die Presse (AT) /

Biden bleibt immer noch die Weltbühne

Schon frühere Präsidenten haben sich nach Niederlagen bei den Zwischenwahlen auf die Außenpolitik fokussiert, bemerkt Die Presse:

„Als Oberbefehlshaber bleibt dem US-Präsidenten immer noch diese Domäne. Der Terminkalender spielt Biden in die Hände. Was wie eine Flucht nach vorn wirken mag, folgt indessen der Choreografie der internationalen Diplomatie. ... Die Klimapolitik, das Duell mit China als geopolitisch wichtigstem Gegenspieler und – ungeplant – die Führung der Anti-Russland-Allianz haben neben dem Fiasko des Abzugs aus Afghanistan seine Amtszeit bis dato geprägt. … Leichter wird es für Biden auch in der Außenpolitik nicht werden – zumal für ihn typische Fauxpas gravierende Folgen haben können.“

+Portal (SI) /

Kriegspolitik wird bestraft

Ökonom Jeffrey Sachs erklärt auf Portal Plus, warum die Demokraten bei den Midterms schlechte Karten haben:

„US-Präsident Joe Biden und die Demokraten könnten bei den Midterms eine schwere Niederlage erleiden, was keine große Überraschung wäre, da die Demokraten die wichtigsten Förderer der Fortsetzung des Krieges in der Ukraine sind. Das Letzte, was die USA und Europa brauchen, ist ein langer Krieg mit Russland. ... Die Vereinigten Staaten brauchen Veränderungen in der Außenpolitik. Nach der Wahl wird es Zeit für eine Neubeurteilung der Außenpolitik. Die Amerikaner und die Welt brauchen wirtschaftliche Erholung, Diplomatie und Frieden.“

Radio Kommersant FM (RU) /

Solche Sorgen müsste man haben

Radio Kommersant hält die angenommene internationale Bedeutung der Wahlen für übertrieben:

„In Europa fragt man sich, wie sich die Meinung von Wählern in Übersee auf die Militäraktionen im Osten des Kontinents auswirken wird. Alles in allem gar nicht. Die Außen- und Verteidigungspolitik ist das Vorrecht der Regierung und des Weißen Hauses, sodass man sich die großen Hoffnungen oder Ängste bis November 2024 aufheben sollte. Die Welt interessiert sich für die außenpolitischen Aspekte der US-Wahlen. Doch vor Ort sorgt man sich um Abtreibung, das Recht, Waffen zu tragen, die Umwelt und vor allem um die galoppierende Inflation. Wenn doch die Russen sich auch mehr Gedanken über diese Probleme machen würden. Dann hätten wir eine andere Welt und fremde Wahlen wären uns egal.“

Der Tagesspiegel (DE) /

Abstimmung über das politische System

Ein Stresstest für die US-amerikanische Demokratie sind die Wahlen für den Tagesspiegel:

„Mit dem Argument, bei der letzten Wahl sei betrogen worden, arbeiten Trumps Anhänger überall im Land daran, das Wählen deutlich zu erschweren, um, so sagen Kritiker, Minderheiten vom Urnengang abzuhalten, die überproportional für die Demokraten stimmen. Viele der republikanischen Kandidaten für den Kongress, die am Dienstag antreten, haben zudem bereits erklärt, das Ergebnis der Präsidentschaftswahlen 2024 möglicherweise nicht zu zertifizieren. ... Damit stimmen die Amerikaner an diesem Dienstag auch über ihr politisches System ab. Sie haben es in der Hand.“

Expresso (PT) /

Die Lüge vom Wahlbetrug ist wieder da

Der Sicherheitsexperte Miguel Monjardino warnt in Expresso:

„Was auf lokaler Ebene geschieht, scheint mir besorgniserregend zu sein. Die republikanischen Gouverneurskandidaten von Michigan, Wisconsin, Arizona und Pennsylvania behaupten entgegen aller Fakten, dass Trump die Wahl 2020 gewonnen habe. Biden wäre so also ein unrechtmäßiger Präsident. Einige republikanische Kongresskandidaten haben in die gleiche Richtung argumentiert. Ihrer Meinung nach ist die Republik der Demokraten korrupt und dekadent. Sollten sie gewählt werden, werden diese gezielten Angriffe auf die Institutionen und die Glaubwürdigkeit des Wahlprozesses das politische Gefüge in den USA verändern und neue zerstörerische antidemokratische Kräfte auf Landes- und Bundesebene freisetzen.“

Le Monde (FR) /

Extrempositionen langfristig nicht überzeugend

Ein Sieg der Republikaner bedeutet keine Zustimmung zu den extremen Positionen vieler ihrer Kandidaten, entgegnet der Politikwissenschaftler Stephen Ansolabehere in Le Monde:

„In den USA schneiden republikanische Kandidaten, die die extreme Fraktion der Partei unterstützen, in den Umfragen schlechter ab als andere republikanischen Kandidaten. … Viele dieser Populisten werden als Sieger aus der Wahl hervorgehen, weil es ein günstiges Jahr für die Partei ist, aber unentschlossene Wähler werden sich schwertun, für diese Kandidaten zu stimmen. … Sie werden ihnen nur widerwillig ihre Stimme geben, um die Demokraten für ihre schlechte Wirtschaftspolitik zu bestrafen. … Wenn die Inflation nachlässt und die Einkommen wieder steigen, wird sich der Wind drehen.“

NZZ am Sonntag (CH) /

Rückenwind vom Atlantik droht abzuebben

Gewinnen die Republikaner die Wahl, könnte sich die Haltung der USA im Ukraine-Krieg ändern, meint die NZZ am Sonntag:

„Bisher wurde die massive finanzielle und militärische Unterstützung zwar von beiden Parteien gestützt. Der potenzielle neue Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, kündigte jedoch an, bei einem Sieg den Ukrainern keine Blankochecks mehr auszustellen. Was das heisst, ist unklar. ... Würden die USA ihr Engagement reduzieren, würde dies den Russen an der Front sofort Vorteile bringen. Die EU und vor allem Länder wie Deutschland sollten deshalb ihr Engagement für die Ukraine verstärken und ihre gemachten Versprechen rasch umsetzen. Nichts ist sicher in diesen Zeiten. Schon gar nicht, wer 2024 US-Präsident werden könnte.“

Jutarnji list (HR) /

Wahl entscheidend für die Ukraine

Auch Jutarnji list fürchtet um die Unterstützung für Kyjiw:

„Die USA stimmen morgen bei Zwischenwahlen ab die, wie das bei dem weiterhin wichtigsten Land der Welt eben so ist, auch das Schicksal eines weit entfernten Landes bestimmen wird - der Ukraine. Es handelt sich um so hohe Einsätze, dass die Wahl mit gleichem Interesse in Washington und Kyiw beobachtet wird. ... Und vor allem im Kreml, für den ein Sieg der Republikaner ein Gottesgeschenk wäre. ... Joe Biden wird wahrscheinlich nicht als einer der großen Präsidenten der USA in die Geschichte eingehen, aber er hat die Chance, als Retter der Ukraine unsterblich zu werden. ... Damit dies geschieht, ist es sehr wichtig, dass morgen nicht die Republikaner siegen.“

Dagens Nyheter (SE) /

Hilfe von unerwarteter Seite

Ausgerechnet die den Republikanern nahestehende Rüstungsindustrie könnte dafür sorgen, dass die Unterstützung der USA für die Ukraine nicht nachlässt, glaubt Dagens Nyheter:

„Die amerikanische Verteidigungsindustrie gibt republikanischen Politikern viel Geld. Auch ist die Rüstungsindustrie aus völlig egoistischen Gründen voll und ganz für die milliardenschwere amerikanische Hilfe für die Ukraine. Die fortschrittlichen Waffen, die das Land braucht, müssen von jemandem hergestellt werden. Was uns vor einem russischen Sieg mit seiner Bedrohung für die gesamte demokratische Welt retten kann, könnte daher die Lobbyarbeit des verteidigungsindustriellen Komplexes sein. Manchmal ist die Politik noch seltsamer als sonst.“

Večernji list (HR) /

Trumps Amerika im Aufwind

Bei den Midterm-Wahlen ist ein Sieg der Konservativen zu erwarten, meint Večernji list:

„Die Kongresswahlen, die immer in der Mitte des Präsidenten-Mandates stattfinden, sind auch immer eine Art Strafe für den aktuellen Bewohner des Weißen Hauses und seine Partei. Und so werden auch diese Wahlen zur Abstimmung über Biden. ... Hat bei den Wahlen vor zwei Jahren noch das liberale Amerika triumphiert und einen Präsidenten mit einem der liberalsten Programme der neueren Geschichte ins Weiße Haus geschickt, muss man bei den bevorstehenden Wahlen mit dem Triumph des konservativen, fundamentalistischen und nationalistischen Amerika rechnen. Mit einem Wort: Trumps Amerika.“

Yeni Şafak (TR) /

Ukraine-Hilfe könnte nachlassen

Yeni Şafak weist darauf hin, dass ein Wahlsieg der Republikaner nicht unerhebliche Auswirkungen auf die Außenpolitik der USA haben könnte:

„Trumpistische Republikaner argumentieren, dass die militärische und wirtschaftliche Unterstützung der USA für die Ukraine begrenzt werden sollte. Nach Ansicht dieser Trumpisten hat die Ukraine nichts mit den nationalen Sicherheitsinteressen der USA zu tun. Der Minderheitenführer im Repräsentantenhaus, Kevin McCarthy, wies darauf hin, dass die Staatsverschuldung der USA 31 Billionen Dollar erreicht hat, und deutete an, dass die Hilfe für die Ukraine eingeschränkt werden könnte, sollten die Republikaner bei den Zwischenwahlen die Mehrheit gewinnen.“

Diena (LV) /

Tauschhandel zu erwarten

Diena entgegnet:

„Beide Seiten werden das Ukraine-Thema und andere außenpolitische Themen neu verhandeln. Vereinfacht gesagt werden die Republikaner eine Unterstützung für die außenpolitischen Initiativen der Biden-Administration gegen die Umsetzung ihrer gewünschten Innenpolitik eintauschen. Es gibt auch eine Reihe weiterer gewichtiger Gründe für die Annahme, dass der grundlegende Kurs der US-Außenpolitik auch nach dem Januar nächsten Jahres, wenn der neue Kongress seine Arbeit aufnimmt, unverändert bleiben wird. Ob das auch nach dem Januar 2025 so bleibt, hängt vom Ausgang der nächsten Wahlen ab, insbesondere für den US-Präsidenten.“

Wiener Zeitung (AT) /

Es droht eine weitere Radikalisierung

Die Polarisierung in den USA besorgt die Wiener Zeitung:

„Die Tragödie ist, dass es den Demokraten hartnäckig nicht gelingt, ein breites Bündnis der Moderaten und Vernünftigen zu schmieden, das auch die Verzerrungen des Wahlsystems und die oft parteipolitisch gezielt zugeschnittenen Wahlkreise zu überwinden vermag. ... Wenn die Prognosen stimmen und die Demokraten Einbußen erleiden, werden sich die extremistischen Teile der Republikaner in ihrer Strategie bestärkt fühlen. Die Radikalisierung der amerikanischen Innenpolitik nimmt dann noch mehr Fahrt auf. Gewaltbereite Extremisten werden das als Einladung verstehen, ihre Ziele mit den ihnen eigenen Mitteln zu verfolgen.“