Ukraine-Krieg: Entsteht eine neue Weltordnung?
Respekt vor Grenzen, Souveränität von Staaten und das Tabu von Angriffskriegen - all das wurde durch die russische Invasion in die Ukraine radikal infrage gestellt. Europas Presse diskutiert, wie sich die Weltordnung verändert und welche Regeln darin künftig gelten werden.
Das Duell USA gegen China
Rund drei Monate nach Beginn der Invasion sind die Positionen der beiden einzigen Supermächte der Welt offenbar klar definiert, analysiert La Repubblica:
„Die USA in der Rolle des Anführers der politisch-militärischen Koalition, die den ukrainischen Widerstand unterstützt, und China in der Rolle des wichtigsten wirtschaftspolitischen Partners Moskaus - wohl darauf bedacht, jegliche Kriegsbeteiligung zu vermeiden. Im Laufe der Wochen wird jedoch immer deutlicher, dass diese Opposition in einem viel umfassenderen Rahmen stattfindet: dem strategischen Duell zwischen Washington und Peking um die Sicherung der globalen Führung. Sie spielen die 'ukrainische Karte' in einer viel artikulierteren, raffinierteren Weise aus, um ihre jeweilige Position gegenüber dem anderen zu stärken.“
Washington will den ersten Platz behaupten
Die Debatte um die Veränderung der Weltordnung wird insbesondere von den USA nicht ohne Hintergedanken geführt, meint Birgün:
„Wenn die USA von der auf Regeln basierenden Ordnung sprechen, meinen sie damit nicht das internationale Völkerrecht. Die USA wollen, dass sich alle an die von ihnen selbst aufgestellten Normen halten, die zum Funktionieren des globalen kapitalistischen Systems existieren. China und Russland halten sich nicht an diese Normen. … Die USA, die bisher den Löwenanteil aus dem globalen Profit erhielten, wollen ihre Stellung angesichts des aufstrebenden China beibehalten. ... China dagegen sammelt vorerst Kraft. Es sieht so aus, dass es eines Tages allen die Quittung servieren wird. Und alle zusammen beobachten sie die Ukraine, um daraus für ihre eigene Zukunft Lektionen zu ziehen.“
Zwei Verlierer
USA und EU werden infolge des Kriegs schwere wirtschaftliche Verluste erleiden, prognostiziert der Sicherheitspolitikexperte Georg Spöttle in Magyar Nemzet:
„Aufgrund der Sanktionen konnte Moskau das verbliebene Gas und Erdöl an energiehungrige Länder wie China, Indien und Pakistan zu einem für sie besseren Preis verkaufen. ... Gleichzeitig erzielt auch China Riesenvorteile: der Markt Russlands wird statt von amerikanischen Techfirmen von chinesischen Giganten dominiert. Es besteht kein Zweifel daran, dass Peking in die hungernden Regionen Afrikas Getreide liefern wird im Gegenzug für Fischereirechte und Edelmetalle, die für die Herstellung von Computern und Mobiltelefonen gebraucht werden. ... Fazit: Es gibt zwei große Verlierer in diesem Konflikt, die USA und die EU.“
Eine Welt in Kriegsbegeisterung
La Vanguardia beobachtet, dass diskussionslos aufgerüstet wird:
„Eine der negativsten Folgen des Einmarsches in die Ukraine ist die Wiederbelebung des Wettrüstens in der Welt. ... China hat seine Verteidigungsinvestitionen vervielfacht. ... Nordkorea provoziert ständig seine Nachbarn. ... Und die EU hat mit dem kürzlich verabschiedeten Strategischen Kompass einen entscheidenden Schritt in Richtung Militarisierung getan. ... Raten Sie, zu welchen Branchen die Unternehmen gehören, deren Aktien derzeit an den Börsen in die Höhe schnellen. Die Welt wird zunehmend militarisiert und es gibt kaum eine Debatte darüber. Erschüttert durch den Krieg in der Ukraine, lässt sie sich von Kriegsbegeisterung anstecken.“