Frankreich gegen Italien in der Flüchtlingsfrage
Nach einigem Hin und Her erlaubt Frankreich dem Seenotrettungsschiff Ocean Viking, in Toulon zu landen. Zuvor hatte Paris darauf beharrt, dass Italien die Geflüchteten an Land lassen müsse, wie es dem See- und Völkerrecht entspricht, und eine Zusage ausgesetzt, bis zum nächsten Sommer 3500 Migranten von Italien zu übernehmen. Doch trotz des Drucks verweigerte Italien dem Schiff eine Einfahrt in seine Häfen.
Kindisch und verantwortungslos
Ginge es nicht um Leben und Tod, müsste man diesen Streit als kindisch abtun, empört sich Avvenire:
„Denn die Drohungen und die Töne, die beidseits der Alpen ausgetauscht werden, ähneln eher denen, die zwei böse Buben einander ins Gesicht schreien, als dem reifen und verantwortungsvollen Verhalten, das man von den Regierungen zweier großer Länder erwarten würde. ... Zutiefst falsch und unnötig grausam ist das Verhalten unserer Regierung... Gleichzeitig ist aber auch das Verhalten von Paris alles andere als politisch angemessen.“
Ein Kurzschluss, der Italien isoliert
So wird die gute Zusammenarbeit sabotiert, die Mario Draghi mit der EU aufgebaut hatte, klagt La Stampa:
„Paris klagt uns an, Berlin schließt sich an, und die Union isoliert uns. Eine Woche reichte aus, um die schönen pro-europäischen Absichten der rechten Regierung zu erschüttern. Eine Guinness-Weltrekord-Katastrophe, die die Ära des Friedens unter Mario Draghi archiviert und eine Ära des Mauerns eröffnet. Es ist schwer zu verstehen, worin der patriotische Vorteil für uns alle bestehen soll, die wir zwangsläufig von der Möglichkeit abhängig sind, Hilfe aus Brüssel zu erhalten. ... Inflation, Krieg, Pandemie. Nach welchem Kriterium entscheidet man sich für eine sinnlose Auseinandersetzung wegen einer Handvoll Menschen, die die Beziehungen zu Macron zerstört und von der Leyen verärgert?“
In Widersprüche verstrickt
Paris weiß offenbar selbst nicht, welche Migrationspolitik es will, kritisiert Le Figaro:
„Wie kann man einem Abgeordneten des Rassemblement National, der sich im Parlament gegen die Aufnahme der Ocean Viking aussprach, Rassismus vorwerfen und eine Woche später mit allen Mitteln genau dieses Schiff zurückdrängen, wie Emmanuel Macron und [Innenminister] Gérald Darmanin es versuchten? Und wie kann sich die Regierung bei der Durchsetzung von Abschiebungen unnachgiebig geben und gleichzeitig die Verteilung von Aufenthaltserlaubnissen vereinfachen wollen, um den Beschäftigungssektoren zu helfen, die unter Personalmangel leiden? All dies zeugt weder von Entschlossenheit noch von Menschlichkeit, sondern von einer stümperhaften Politik.“
Die Flüchtlingsdebatte wird falsch geführt
Libération klagt:
„Wie oft in solchen Fällen hört man vereinfachende Antworten zu einem komplexen Thema. Man sollte sich besser auf die ebenfalls einfachen Werte der Menschlichkeit und Gastfreundschaft berufen, die offiziell den Stolz Frankreichs und Europas darstellen. Sicher, der Staatschef muss auch die angespannte öffentliche Meinung berücksichtigen, aber ebenso - und in diesem Fall vor allem - muss er einen Weg aufzeigen, der es erlaubt, sich in einigen Jahren ohne Scham im Spiegel betrachten zu können. Man muss ohne Naivität festhalten, dass Frankreich nicht von einer Flüchtlingswelle überrollt wird; es sei denn, man will Ausgrenzungsdiskursen den Weg ebnen, die die extreme Rechte seit Jahren endlos wiederholt und die die öffentliche Debatte stark verdorben haben.“