Was bewirkt der Haftbefehl gegen Putin?
Der Internationale Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag hat Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin und die russische Beauftragte für Kinderrechte Maria Lwowa-Belowa erlassen. Wegen der Deportation von Kindern und Umsiedlungen aus besetzen Gebieten der Ukraine nach Russland hätten sie sich mutmaßlich an Kriegsverbrechen schuldig gemacht. Europas Presse bewertet die Folgen.
Klare Ansage statt Euphemismen
Avvenire kommentiert:
„Die Dinge in diesem Krieg müssen endlich beim Namen genannt werden. Verbrechen. Verbrechen und keine Kollateralschäden oder andere unhaltbare Euphemismen. Das geschieht nun durch die Formulierung einer präzisen Anklage und den Erlass von Haftbefehlen. Diese werden zwar nicht von allen Staaten der Weltgemeinschaft anerkannt werden, weil einige die Institution und die Autorität des IStGH nicht anerkennen, darunter insbesondere Russland, die USA und China. ... Dennoch hindern diese formellen Entscheidungen uns alle daran, die Augen zu verschließen. Sie sprechen Klartext.“
Kaum unmittelbare Folgen
Ukrajinska Prawda bezweifelt, dass sich der Haftbefehl praktisch auf die Reisefreiheit Putins auswirkt:
„Erstens ist Putin seit langer Zeit nicht mehr ins Ausland gereist, außer zu Besuchen seiner engsten Partner. ... Zweitens handelt es sich bei den 123 Staaten um eine große Mehrheit, aber nicht um alle Staaten der Welt. Fast alle Staaten in Asien und Nordafrika zum Beispiel erkennen die Zuständigkeit des IStGH nicht an. ... Und auch die USA sind keine Vertragspartei des IStGH, so dass Putin bei Bedarf dorthin fliegen könnte, ohne dass ihm eine Verhaftung aufgrund eines Haager Haftbefehls droht.“
Auch Milošević wurde nicht sofort verhaftet
Wer weiß heute schon, welche praktische Relevanz die Entscheidung später noch bekommen könnte, spekuliert Rzeczpospolita:
„Die historische Entscheidung hat in erster Linie symbolische Bedeutung. Den Haag sagt den Verbrechern: Ihr könnt nicht ruhig schlafen, fühlt euch nicht sicher! ... Zugegeben, Russland ist nicht Vertragspartei, und momentan haben wahrscheinlich weder Putin noch Lwowa-Belowa die Absicht, das Land zu verlassen. Aber das Leben birgt nun einmal alle möglichen Überraschungen. Auch Slobodan Milošević oder Radovan Karadžić wurden nicht sofort verhaftet.“
Präsident wird zum Risiko für russische Elite
Der Moskauer Geschichtsprofessor Walerij Solowej sieht auf Facebook die Wahrscheinlichkeit einer Palastrevolte gegen Putin wachsen:
„Der Haftbefehl aus Den Haag ist ein wichtiges Signal an die russische Elite. Putin entwickelt sich immer deutlicher vom Garanten für Reichtum und Macht zu einem toxischen Vermögenswert, den man so schnell wie möglich abstoßen sollte - sonst könnten neue Namen in den Akten internationaler Gerichte auftauchen. Die Mehrheit der russischen Hautevolee reagiert darauf nur mit ohnmächtigem Nörgeln und öffentlichen Solidaritätsbekundungen zum Führer. Aber es gibt auch Gruppen unter ihnen, die zu entschlossenem Handeln fähig sind. Die Wahrscheinlichkeit solcher Taten wächst nun.“