Wo steht Georgien 15 Jahre nach dem Krieg?
Am 8. August vor 15 Jahren begann der Georgien-Krieg, in dem Russland den seit langem schwelenden Konflikt um die formal zu Georgien gehörenden, abtrünnigen Regionen Südossetien und Abchasien zum Anlass nahm, Georgien anzugreifen und seine erhöhte Militärpräsenz in der Region dauerhaft zu sichern. Doch auch darüber hinaus ist Russlands Einfluss in Georgien groß, analyisieren Kommentatoren.
Pro-europäische Kräfte mit Beitrittsstatus stärken
Das Land im Kaukasus braucht eine klare EU-Perspektive, rät Ökonom Jean-Paul Michel Larçon in The Conversation:
„Eine Ablehnung des Beitritts wegen nicht eingehaltener Anforderungen und zur Bestrafung der aktuellen Regierung würde die öffentliche Meinung, die mehrheitlich proeuropäisch ist, sowie die politischen Akteure vom gleichen Schlag entmutigen. ... Die Demonstrationen im März 2023 gegen das Gesetz über ausländische Agenten haben die Spaltung des Landes und die Instabilität der Lage veranschaulicht. ... Um die Zukunft zu sichern, wäre es sicherlich ideal, wenn die EU Georgien den Status eines Beitrittskandidaten unter Bedingungen verleihen würde.“
Allzu sehr nach Russland ausgerichtet
Vytautas Bruveris, Chefredakteur der Nachrichtenagentur Elta, sieht in Delfi mehr Verbindendes als Trennendes zwischen Georgien und Russland:
„Der unbesetzte Rest Georgiens ist in den letzten Jahren allen Parametern gemäß nur noch abwärts gerutscht. Die Regierung hat ihre Ambitionen, das Land in die EU und die Nato zu bringen, zwar offiziell nicht aufgegeben, aber das sind nur leere Worte. Tatsächlich gaukelt Tbilissi nicht nur die Integrations- und Reformbestrebungen vor, sondern treibt das Land in Richtung einer kleptokratischen Autokratie nach russischem Vorbild. Darüber hinaus diktieren die oligarchischen Strukturen hinter der Regierung und ihre mit Russland verbundenen Interessen und Abhängigkeiten auch die im Wesentlichen pro-russische Politik des Staates.“
Propaganda trägt Früchte
Juri Pantschenko von Ukrajinska Prawda sieht Georgien ebenfalls auf Kurs Richtung Russland:
„Eine sehr wichtige These der derzeitigen georgischen Regierung ist, dass der Westen von Georgien angeblich die 'Eröffnung einer zweiten Front' im Krieg gegen Russland fordert. Obwohl sich kein westlicher Politiker in dieser Weise geäußert hat (und auf ukrainischer Seite wurden derartige Forderungen nicht von Spitzenpolitikern erhoben), trägt die massive Propaganda Früchte. Ein großer Teil der Wähler der [regierenden] Partei KO-DS glaubt oder ließ sich davon überzeugen, dass die derzeitigen Probleme in den Beziehungen Georgiens zur EU nicht mit der Abkehr des Landes von der Demokratie zusammenhängen, sondern mit der mangelnden Bereitschaft, in einen neuen Krieg mit Russland einzutreten.“
Abchasien- und Südossetienfragen bremsen Tauwetter
Laut Kommersant bleiben die Beziehungen zwischen Georgien und Russland kompliziert:
„Die Unstimmigkeiten über den Status von Südossetien und Abchasien sind der Stolperstein in den russisch-georgischen Beziehungen: Jeder Schritt der Länder aufeinander zu endet dort, wo Gespräche über den Status beginnen. Was aber nicht bedeutet, dass diese Schritte enden, bevor sie angefangen haben: Zwischen beiden Ländern gibt es intensiven Warenaustausch und gemeinsame Geschäftsprojekte, russische Touristen kommen ebenso gerne nach Georgien wie im Herbst 2022 diejenigen, die der Mobilmachung entgehen wollten. ... Gegenwärtig ist das georgische Establishment hinsichtlich seiner Haltung gegenüber Russland und dessen Vorgehen in der Ukraine gespalten.“