Aufruhr in Georgien: Wird Russland nervös?
Der Auftritt eines Duma-Abgeordneten, der während einer Tagung in Tiflis vom Sitz des Parlamentspräsidenten aus sprach, hat in Georgien antirussische Proteste ausgelöst. Mittlerweile sind diese in Demonstrationen gegen die Regierung gemündet. Kommentatoren fragen sich insbesondere, warum Russland mit der Einstellung aller Linienflüge in das beliebte Urlaubsland harsch auf die Entwicklungen reagiert.
Moskau fürchtet einen neuen Maidan
Der Blogger Ivan Kurilla überlegt auf newsru.com, was hinter der Reaktion des Kremls auf die Ereignisse in Georgien stecken könnte:
„Wozu braucht der Kreml eine Krise ohne einen ersichtlichen Beweggrund? Es wurde schon völlig zu Recht angemerkt, dass eine äußere Bedrohung hilft, eine innenpolitische Krise zu überwinden - und die russische Staatsmacht ist, wie es aussieht, in einer Krise. Eine andere mögliche Erklärung ist die Angst vor einem neuen 'Maidan'. Dass die Forderungen von Demonstranten auf der Straße erfüllt und ihnen, mehr noch, Machtbefugnisse erteilt werden, ist die schrecklichste Phobie der heutigen russischen Staatsmacht. Es wird versucht, das Land von vornherein für etwas zu bestrafen, was dort passieren kann (oder auch nicht).“
Die Protestwelle erreicht Georgien
Putin wird nicht nur angesichts der Proteste in Georgien nervös, führt Dziennik Gazeta Prawna aus:
„Die Ereignisse in Georgien passen zu einer Bewegung, deren Ausgangspunkt vor einem Jahr in Armenien stattgefunden hat. ... Jede Veränderung in diesen Ländern birgt den Virus der Demokratie, vor dem der Kreml panische Angst hat. In Moldau haben Politiker ein Bündnis gegen einen bis dahin unantastbaren Führer geschlossen. In Armenien zwang die Straße die Machtelite zu Zugeständnissen. Die Ukrainer unterstützten in großem Umfang einen neuen Präsidenten, indem sie die traditionellen Mechanismen eines Wahlkampfs umgingen. Jedes dieser Szenarien klingt für Putin wie ein Albtraum. Auch wenn Russland in einigen dieser Länder seine Position sogar stärken kann, werden die Russen selbst unter einen riesigen Druck geraten.“
Urlaub machen, Wein trinken, Mineralwasser kaufen
Journalist Edward Lucas ruft in Postimees jeden Einzelnen zur Unterstützung Georgiens auf:
„Genauso, wie wir Waren und Dienstleistungen umstrittener Branchen, Firmen und Staaten boykottieren können, können wir mit unserer Kaufkraft für die stimmen, die wir unterstützen wollen. Für diejenigen, deren Budget und Verpflichtungen es erlauben, wäre deshalb eine Urlaubsreise nach Georgien eine nette Antwort an den Kreml - und angesichts der Tatsache, dass Georgien als das Italien des Kaukasus gilt, bestimmt kein Opfer. Weinliebhaber haben natürlich viele Möglichkeiten, um ihre Unterstützung auszudrücken. Aber sogar zurückhaltende Konsumenten können georgische Produkte wählen, wie zum Beispiel das Mineralwasser aus Borjomi. Jeder Cent stärkt die Moral der Georgier und zeigt dem Kreml, dass Streit nicht weiter führt.“
Massenproteste offenbaren alte Wunde
Nicht überrascht von den Protesten in Tiflis zeigt sich Evenimentul Zilei:
„Die Explosion der spontanen Proteste hat die wahren Wut- und Zorngefühle gegen den - wie ihn die georgische Präsidentin bezeichnet - russischen Besetzer und Aggressor gezeigt, auch wenn es zuletzt Schritte der wirtschaftlichen und kommerziellen Annäherung gab und Versuche, die Lage zu normalisieren. Die Georgier sind immer noch frustriert von dem russisch-georgischen Krieg vor elf Jahren, wo sie ihre Regionen Abchasien und Südossetien verloren haben, die nun selbsterklärte unabhängige Staaten sind, die lediglich von Russland und einiger seiner engen Kunden anerkannt werden. De facto sind sie russisches Territorium. Dort sichern russische Truppen die 'Grenze'.“
Tiflis hat Moskaus Reaktion provoziert
Das regierungsnahe Portal Ria Novosti sieht die Verantwortung für die neue Krise auf der georgischen Seite:
„Die georgische Führung, die offiziell Gastgeber der orthodoxen Parlamentarierversammlung war, hätte die Gelegenheit gehabt, die Wogen zu glätten, indem sie sich entschuldigt und die Verantwortung auf ihre Gegner geschoben hätte, die aus ihren politischen Motiven eine wilde Provokation veranstalteten. Stattdessen folgte die Erklärung von [Staatspräsidentin] Surabischwili: 'Russland ist unser Feind und Besatzer.' ... So hat sich der georgische Staat mit den aggressiven radikalen Russenhassern solidarisiert. Folgerichtig wurde Georgien als solches zum Objekt Moskauer Antwortmaßnahmen. ... Durch die Provokation wurden jahrelange Bemühungen zunichte gemacht, womit der kleinen und armen Republik nun sehr ernste Probleme drohen.“