Proteste in Georgien: Regierung zieht Gesetz zurück
Nach massiven Protesten hat die Regierung Georgiens ihren Plan zur Einführung des Gesetzes "Über die Transparenz ausländischen Einflusses" vorerst verworfen. Es hätte ähnlich wie in Russland ermöglicht, Medien und Medienschaffende sowie Nichtregierungsorganisationen als "ausländische Agenten" einzustufen und ihre Arbeit erheblich einzuschränken. Europas Presse lobt die Zivilgesellschaft und mahnt zu weiterer Wachsamkeit.
Garibaschwilis Stuhl wackelt
Trotz Rückzugs sind die Tage der georgischen Regierung gezählt, glaubt der frühere Presse-Attaché Georgiens in der Ukraine, Batscho Kortschilawa, auf Gordonua.com:
„Ich denke, diese Regierung wird es in Zukunft schwer haben. Premier Garibaschwili ist schon einmal zurückgetreten, nach der gewaltsamen Niederschlagung der Proteste in der 'Gawrilow-Nacht' [im Juni 2019]. ... Und wieder hat er denselben Fehler gemacht - er hat es gewagt, sich mit der Gesellschaft anzulegen und eine Demonstration auseinandertreiben lassen. Ich denke, dass ihm die Rücknahme des Gesetzentwurfs nicht helfen wird, seine Position zu behalten.“
Vorbild für Europa
Voller Bewunderung für die Protestierenden ist das Handelsblatt:
„Die Verhinderung dieses Gesetzes ist allein der Zivilgesellschaft zu verdanken, die bereit ist, für ihre Freiheitsrechte und Zugehörigkeit zu Europa auf die Straße zu gehen. Und mehr noch: Die Proteste in Tbilissi sind außerdem klar gegen Russlands Einfluss in dem Land gerichtet, der nach wie vor sehr groß ist. ... Obwohl Georgien im vergangenen Jahr der EU-Beitrittskandidatenstatus verwehrt wurde, lebt die Bevölkerung vor, wofür Europa steht. Daran sollten sich Menschen in ganz Europa ein Beispiel nehmen - denn weder Presse- und Meinungsfreiheit noch die Freiheit von russischer Einflussnahme sind in der heutigen Zeit Selbstverständlichkeiten.“
Westen muss autokratische Tendenzen eindämmen
Helsingin Sanomat sieht die Demokratie in Georgien weiterhin in Gefahr:
„Die Beziehung zwischen der Regierungspartei Georgischer Traum mit ihrem Paten Milliardär Bidzina Iwanischwili und Russland ist nicht ganz so einfach, wie die Opposition es darstellt. Es ist aber klar, dass die Machthaber trotz ihrer westlichen Rhetorik versuchen, die Einparteienherrschaft zu zementieren, die Institutionen zu kontrollieren und kritische Medien und Nichtregierungsorganisationen zum Schweigen zu bringen. Das Gesetz über 'ausländische Agenten' war Teil dieses Ziels. Dass der Gesetzentwurf zurückgezogen wurde, heißt nicht, dass die Gefahr vorbei ist. Der Westen muss nun mit allen Mitteln versuchen sicherzustellen, dass Georgiens Demokratie nicht noch zerbrechlicher wird.“
Nur nicht Moskau provozieren
Die Bedrohung aus Russland ist für Georgien immanent, gibt Polityka zu bedenken:
„Wer auch immer in Tbilissi regiert, muss den russischen Faktor berücksichtigen und so handeln, dass er Russland keinen Vorwand für eine Wiederholung des Krieges von 2008 liefert. Diese einige Tage dauernde Intervention richtete sich gegen die Versuche Georgiens, der Nato beizutreten. Und das erfolgreich: Eine Mitgliedschaft in der Allianz ist angesichts der Besetzung von 20 Prozent des georgischen Territoriums durch von Russland kontrollierte quasistaatliche Einheiten unwahrscheinlich. ... Die heutigen Demonstrationen werden mit dem Maidan verglichen. Damals reagierte Russland mit der Einnahme der Krim und eines Teils des Donbas.“
Russland arbeitet an einem Ring unfreier Staaten
Publizist Maxim Trudoljubow erklärt in einem von Echo übernommenen Telegram-Post anhand ähnlicher Vorgänge in Kirgisistan, Kasachstan und Aserbaidschan:
„Russlands Staatsmacht fördert die Annahme von Gesetzen in der Art des russischen überall dort, wo sie den westlichen Einfluss untergraben will. ... Gesetze über ausländische Agenten spielen dabei nicht zufällig eine Schlüsselrolle. Der Kreml hält nichts von der Autonomie von Individuen und Gesellschaften und glaubt, dass die USA über NGOs im Ausland Revolutionen inszenieren und prowestliche Regime installieren. ... Es gilt, die Pläne zur Ausbreitung der 'russischen Matrix' auf die Nachbarländer zu verstehen. Aus der Sicht des Kremls soll es in diesen Länder nicht nur keine Nato geben, sondern auch keine freie Zivilgesellschaft und keine freien Medien.“
Hexenjagd und Bruch mit Brüssel
Mit dem Gesetzesentwurf riskierte die Regierung einen bewussten Bruch mit der EU, meint Doschd-Redakteurin Jekaterina Kodrikadse in einem von Echo übernommenen Telegram-Post:
„Zahlreiche NGOs und unabhängige Medien erhalten Gelder von westlichen Stiftungen und leben von Zuschüssen - dies garantiert die Meinungsfreiheit. Die georgischen Behörden werden darin Spionage und Agententätigkeit sehen. Dabei könnte sich dieser Staat selbst als ausländischer Agent anerkennen, da Georgien enorme Hilfen von der EU und den USA erhält. Zweifellos wird es der Gesetzesentwurf ermöglichen, in Georgien eine Hexenjagd zu starten, um Rechte und Freiheiten einzuschränken. Darüber hinaus ist dies meiner Meinung nach ein bewusster Bruch mit der EU.“
Georgier fürchten um ihren Weg nach Europa
Parallelen zum ukrainischen Maidan sieht Schriftsteller Ziemowit Szczerek in Onet.pl:
„Das Gesetz nach russischem Vorbild löste eine ähnliche Reaktion aus wie seinerzeit in der Ukraine Viktor Janukowitschs Ablehnung der europäischen Integration, was zum Maidan und zur Auflehnung gegenüber der russischen Dominanz führte. Wie damals die Ukrainer fürchten auch die Georgier heute, dass ihr Weg in den Westen mit einem Mal versperrt wurde.“
Putins Einfluss ist bemerkenswert
Postimees ist besorgt:
„Das Gesetz über ausländische Agenten, das in Georgien für Furore sorgt, sieht aus wie eine Ente, läuft wie eine Ente und ist optisch die gleiche Ente wie das gleichnamige russische Gesetz, das 2012 in Kraft trat. Dies war der Beginn der totalen Unterdrückung des freien Denkens und der endgültige Untergang Russlands. Es ist erstaunlich, dass Putins Einfluss auf die derzeitige georgische Führung so groß ist, dass sie bereits begonnen hat, die repressiven Gesetze Russlands zu kopieren. Nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine fiel die sehr zögerliche Haltung der georgischen Regierung auf, die eindeutig im Widerspruch zur Stimmung in der Bevölkerung stand.“
Die Sternenflagge ist ihre einzige Hoffnung
Brüssel muss etwas unternehmen, meint El Mundo:
„Der Schatten des Kremls liegt wieder über Georgien, wo Putin 2008 einmarschierte, ein Fünftel des Territoriums besetzte und die erste Lunte des Pulverfasses zündete, das nun in der Ukraine explodiert ist. Ein Gesetzentwurf, der der Presse und NGOs einen Maulkorb anlegt, hat Tausende Georgier auf die Straße getrieben. ... Ihre demokratischen Bestrebungen und ihr Traum vom EU-Beitritt verschwinden gerade durch den Abfluss. Georgien schwenkt die Sternenflagge wie eine Leuchtrakete und fordert Hilfe von Brüssel, das dem Land bisher den Kandidatenstatus verweigert. ... Die EU muss auf die Sirenen hören, bevor das Feuer in Russlands Hinterhof ein weiteres Gebiet verschlingt.“