Argentinien: Was bedeutet der Wahlsieg Mileis?
Mit klarem Vorsprung hat der ultraliberale Populist Javier Milei am Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt in Argentinien gewonnen. Der Kandidat der Partei La Libertad Avanza lag mit knapp 56 Prozent deutlich vor Wirtschaftsminister Sergio Massa von der linken Unión por la Patria mit 44 Prozent. Kommentatoren diskutieren die Gründe – und was von seinen radikalen Reformplänen zu halten ist.
Wählende wollten radikalen Bruch
Die Argentinier vollführen einen Sprung ins Ungewisse, analysiert Hospodářské noviny:
„Wie ernst meint es Milei mit seinen Plänen? Und wie viel davon wird er umsetzen können? Es ist eine Sache, im Fernsehen beiläufig über die Dollarisierung zu sprechen, wo er mit amüsanten und falschen Kommentaren zur wirtschaftlichen Lage des Landes berühmt wurde, und eine andere, im Parlament Unterstützung dafür zu bekommen. Die Argentinier kennen die Antworten auf solche Fragen nicht, aber das interessiert sie an dieser Stelle auch nicht. Sie wollten einfach eine Veränderung nach einer endlosen Reihe von Insolvenzen, Schulden, demütigenden Verhandlungen mit ausländischen Gläubigern und Inflationsspiralen. Je radikaler, desto besser.“
Vielleicht könnte er tatsächlich Erfolg haben
El Periódico de Catalunya gibt dem neuen Präsidenten einen Vertrauensvorschuss:
„Milei gehört nicht zum Establishment und er steht für einen radikalen Wandel. Die Frage ist, wohin. Die Antwort lautet nicht: in den klassischen 'Rechtsextremismus'. ... Milei ist vor allem ein Ultraliberaler. ... Und mit diesem Rätsel betritt Argentinien Neuland, an sich schon ein bedeutender Paradigmenwechsel. Wenn es dem lautstarken Milei gelingt, rhetorische Exzesse zu reduzieren, vernünftige Allianzen zu schließen und den Kurs einer liberalen Demokratie aufzunehmen, könnte er der Mann sein, der jahrzehntelange politische Korruption beendet und die Wirtschaft stabilisiert.“
Seine Fürsprecher werden die größten Verlierer sein
Argentinien stehen turbulente Zeiten bevor, meint der Deutschlandfunk:
„Experten fürchten um die Regierbarkeit des Landes. Denn Mileis radikale Versprechen – allen voran die Abschaffung der Landeswährung Peso und die Einführung des US-Dollar – hält kaum ein Ökonom für umsetzbar. Schließlich dürfte der angekündigte massive Sozialabbau zu großem Widerstand auf der Straße führen. Die Einschnitte werden gerade auch einen Großteil der Wähler Mileis schmerzhaft treffen. ... [W]as man Milei nicht vorwerfen kann, ist, dass er aus seinen Absichten ein Geheimnis gemacht hätte. Die große Tragik: Genau die, die die größte Hoffnung in ihn gesetzt haben, werden die größten Verlierer sein.“
Postextremistische Phase
Für Visão ist Mileis Wahl ein Eingeständnis massiver Zerrüttung:
„Milei ist nicht nur ein argentinisches Phänomen. Er verkörpert das, was der Beginn von politischer Anarchie oder einer postextremistischen Phase zu sein scheint. Es geht nicht mehr um die extreme Rechte oder die populistische Rechte, sondern um institutionelle Unordnung und funktionelles Chaos. Argentiniens neuer Präsident ist der Beginn von etwas Radikalem und Unangenehmem. Es waren die Argentinier, die ihn gewählt haben. Sie wissen es am besten. Die Verzweiflung und die schrecklichen Bedingungen, in denen sich das Land befindet, sind offensichtlich. ... Argentinien kann nicht so weitermachen wie bisher. Bankrott, sozial zerrüttet und politisch ruiniert. “
Schrei der Verzweiflung
Politiken erkennt einen Weckruf weit über Argentinien hinaus:
„Das Beste, was man über Milei sagen kann, ist, dass er zur Moderation gezwungen wird. Er verfügt nur über 14 Prozent der Sitze im Parlament und steht zudem starken peronistischen Gewerkschaften gegenüber. Vielleicht wagten deshalb so viele, für ihn zu stimmen. Es ist ein Schrei der Verzweiflung über eine dysfunktionale politische Elite. Das ist jedoch auch ein Weckruf nicht nur für Argentinien, sondern auch für den Rest von uns: Von den Vereinigten Staaten bis Brasilien und Polen kann der unfruchtbare Populismus zurückkehren, wenn das politische Establishment unverantwortlich handelt und es versäumt, den Menschen zu dienen, die es wählten.“