Deutschland: Richter kippen Klima-Milliardenplan
Ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts stellt die deutsche Regierung vor große Finanzprobleme: 60 Milliarden Euro, die ursprünglich für die Bekämpfung der Corona-Krise gedacht waren, hätten im Nachtragshaushalt 2021 nicht für Projekte des Klimaschutzes umbudgetiert werden dürfen. Finanzminister Christian Lindner (FDP) muss diese nun streichen. Die Presse schaut mit gemischten Gefühlen auf die Lage in Deutschland.
Das Recht rechnet nicht
Zeit Online findet das Urteil korrekt:
„Denn natürlich hat die Regierung getrickst, als sie die eigentlich für die Bekämpfung der Corona-Krise reservierten Gelder für den Klimaschutz hergenommen hat. Offenbar hatte die Ampel darauf gesetzt, dass das Bundesverfassungsgericht schon nicht so genau hinschauen würden. Schließlich zweifelt kaum ein Experte daran, dass es ökonomisch sinnvoll ist, Geld für den Klimaschutz und die Transformation der Wirtschaft auszugeben. Das machen ja auch andere Länder so. Aber die Richterinnen und Richter sind nicht für die Wirtschaft zuständig, sondern für das Recht. Und dieses rechnet nicht.“
Ein echter Wumms
Für die Parteien der Ampel-Koalition ist das eine schlechte Note von unabhängiger Seite, lästert Der Standard:
„Den deutschen 'Sozen' dürfe man kein Geld überlassen, die könnten nicht haushalten – dieser in CDU- und CSU-Kreisen beliebte Kalauer ist am [vergangenen] Dienstag in einem wichtigen Punkt um FDP und Grüne erweitert worden. Denn das Verfassungsgericht in Karlsruhe sprach ein Urteil, das für die Ampelregierung ein Desaster ist. Oder, um in den Worten von Kanzler Olaf Scholz zu bleiben: ein echter Wumms. ... Jetzt gibt es quasi ein gerichtliches Siegel für schlechtes Regieren. ... Das gilt für Scholz und im Besonderen für seinen Finanzminister Christian Lindner (FDP).“
Verfassung engt Regierung zu sehr ein
Fiskalpolitik sollte zum politischen Handlungsspielraum gehören, findet The Irish Times:
„Die Regierung hat nur begrenzte Möglichkeiten, wenn sie ihr Programm umsetzen will. Eine Abänderung der Schuldenbremse erfordert eine unerreichbare Zweidrittelmehrheit in beiden Häusern. Andere schlagen vor, einen Notstand auszurufen, dieses Mal statt für das Coronavirus im Zusammenhang mit dem Krieg in der Ukraine. Aber eine gerichtliche Anfechtung in Karlsruhe wäre hier so gut wie sicher. ... Man kann also einwenden, dass die Verankerung einer zutiefst politischen Einstellung – nämlich einer rigiden und konservativen Fiskalpolitik – in der Verfassung die Bewegungsfreiheit demokratisch gewählter Regierungen untergräbt.“
Chance auf Neustart in Finanzphilosophie
Das Urteil könnte sein Gutes haben, meint Financial Times:
„Der Glaube an strenge Regeln spiegelt den Wunsch wider, die Politik aus der Wirtschaftsführung herauszunehmen. Er verrät ein mangelndes Vertrauen von Politikern ineinander, aber vor allem eben auch in ihre eigene Rechtschaffenheit. Das ist die – historisch begründete – Wurzel der ordoliberalen Wirtschaftsphilosophie in Deutschland, die sich aber auch in weiten Teilen Europas wiederfindet. Sie bleibt aber eine Illusion. Wirtschaftspolitik ist unvermeidlich politisch; die Frage ist, wie sie verantwortungsvoll gestaltet werden kann. Falls die juristische Kehrtwende hierzu Antworten für Deutschland und Europa liefert, dann hat sie sich gelohnt.“