Estland: Diskussion ums Elterngeld
Die liberale estnische Regierung hat angedeutet, das großzügige Elterngeld kürzen zu wollen. Bisher bekommt ein Elternteil das volle Gehalt, bis das Kind eineinhalb Jahre alt ist. Die Regelung war 2003 wegen der niedrigen Geburtenrate in den postsowjetischen Jahren eingeführt worden. Inzwischen liegt die Rate mit rund 1,6 Kindern pro Frau im europäischen Durchschnitt. Kontroverse in der Landespresse.
Reform an sich nicht falsch
Eesti Päevaleht findet die Pläne durchaus überdenkenswert:
„Aus wissenschaftlicher Sicht ist das Elterngeld keineswegs so kosteneffizient wie es das Gefühl vermuten lässt. [Der größte unabhängige Thinktank für sozio-ökonomische Forschung Estlands] Praxis weist darauf hin, dass die Geburtenrate nach der Einführung der Leistung zwar gestiegen war, aber beispielsweise nicht zu Geburten in einem jüngeren Alter geführt hat. Inzwischen ist der Effekt gänzlich verschwunden. Es muss also klar sein, dass die Möglichkeiten des Staates, die Menschen zu mehr Geburten zu bewegen, auch bei noch so teuren Maßnahmen sehr begrenzt bleiben. Andererseits gibt es Ideen, wie das Geld besser eingesetzt werden kann.“
Unerhört in der Bevölkerungskrise
Postimees hingegen ist wütend:
„Obwohl Estland derzeit die niedrigste Geburtenrate seit 100 Jahren hat und wir vor einer demografischen Krise stehen - mit anderen Worten, wenn sich die derzeitigen Trends fortsetzen, werden wir als Nation aussterben -, scheint es für die Regierung eine gute Idee zu sein, eine Kürzung des Elterngeldes in Betracht zu ziehen. Begleitet wird dies von einer Rhetorik über bedürftigkeitsabhängige Leistungen - was bedeuten könnte, dass wohlhabendere Eltern nicht so lange Leistungen erhalten sollten wie ärmere Eltern - und ganz allgemein, dass Geld keine Kinder kaufen kann. Das ist zweifellos richtig, aber leider ist Geld für die Kindererziehung im heutigen Estland, das sich zu einem teuren nordischen Land entwickelt hat, zwingend notwendig.“