Frankreich ringt um Einwanderungsreform
Vergangene Woche hatte die französische Nationalversammlung einen Gesetzentwurf zur Einwanderungspolitik abgelehnt, mit dem die Regierung irreguläre Einwanderung einschränken und zugleich die Integration verbessern wollte. Nun wird die Vorlage im Vermittlungsausschuss diskutiert. Das Macron-Lager wirbt um die Stimmen der konservativen Les Républicains, die aber auf Einschränkungen bei den Sozialleistungen für Ausländer pochen.
Wer einzahlt, soll auch Kindergeld bekommen
Die Sozialleistungen für Ausländer einzuschränken, wäre ein verheerender Fauxpas, warnt Libération:
„Hat der Macronismus noch Werte? … Was wäre es für ein bedauerliches Abgleiten, von legal in Frankreich lebenden Ausländern eine mehrjährige Präsenz im Land zu verlangen, bevor sie Anrecht auf Kindergeld erhalten, obwohl sie ab ihrem ersten Arbeitstag in unser Sozialsystem einzahlen und bei jedem Kauf Mehrwertsteuer entrichten. ... Sollte sich der Macronismus auf Kosten des Universalitätsprinzips die Logik 'erst wir, dann die anderen' zu eigen machen, die weniger mit Patriotismus als mit Fremdenfeindlichkeit zu tun hat, wäre dies ein grauenvolles Abrutschen nach ganz rechts.“
Schluss mit Katastrophendiskurs!
Katholische Geistliche und Ehrenamtliche wünschen sich in La Croix einen anderen Blick auf Einwanderung:
„Die Frage nach den Bedingungen der Aufnahme und den dafür bereitgestellten Mitteln ist aus ethischer Sicht zentral. Es würde von politischer Größe zeugen, sie wieder auf die Tagesordnung zu nehmen. Dies würde voraussetzen, dass mit den Katastrophenvorstellungen gebrochen wird, die das Thema Zuwanderung in unserem Land immer stärker umhüllen. Es geht darum, der Erzählung vom Kampf der Kulturen die ihrer Begegnung entgegenzustellen, die Gleichsetzung des Islam mit Dschihadismus zu bekämpfen, die Instrumentalisierung der Laizität zu antireligiösen Zwecken abzulehnen.“
Macron in der Sackgasse
Der Frankreich-Korrespondent der taz, Rudolf Balmer, sieht die Autorität der Regierung grundsätzlich infrage gestellt:
„[W]eil klar bewiesen ist, dass sie in der Nationalversammlung keine Mehrheit hat. Ausbaden muss das Schlamassel, vor dem die Regierung nun steht, der Präsident Emmanuel Macron. Wie in Hans Christian Andersens 'Des Königs neue Kleider' entdecken die Bürger und Bürgerinnen, die sich bisher vielleicht noch blenden ließen, dass ihr eitler Herrscher in Wirklichkeit nackt ist. Mit einer Minderheitsregierung, die keine Bündnispartner findet, ist Macron handlungsunfähig. ... Macron sitzt ... in einer politischen Sackgasse.“
Letzter Trumpf öffentliche Meinung
Macron verliert die Kontrolle, hat aber noch Möglichkeiten, beobachtet Le Monde:
„In dem Zustand der Schwäche, in dem sich der Präsident befindet, ist er nicht völlig hilflos. Er kann versuchen, den Kampf um die öffentliche Meinung aufzunehmen und sich auf die Erwartungen der Franzosen zu stützen, um die politischen Spielchen zu beenden. Im Gegensatz zum Rentengesetzentwurf würde das Zuwanderungsgesetz laut Umfragen auf starke Unterstützung stoßen. Dies ist der einzige Trumpf, den er noch in der Hand hat.“
Eine Zwickmühle
Le Figaro analysiert, wie es nun weitergehen könnte:
„Da die Regierung keine Mehrheit findet, kann sie beschließen, ihren Gesetzesentwurf zurückzuziehen. Sollte sie jedoch weiter darauf bestehen, wird ein Rückgriff auf den Artikel 49.3 [mit dem eine Parlamentsabstimmung umgangen werden kann] fast unvermeidbar. Nach der soeben erlangten Niederlage wäre das zumindest eine gewagte Lösung. ... Wenn die Regierung bereit wäre, einen neuen Text auszuarbeiten, der die Forderungen der Abgeordneten von LR [Les Républicains] und RN [Rassemblement National] nach mehr Härte berücksichtigt, riskiert sie, einen Teil ihrer linken Stimmen zu verlieren. Wenn sie jedoch einen ebenso milden Text wie im aktuell präsentierten Entwurf vorschlägt, könnte es erneut zur Ablehnung kommen.“
Schärferes Profil vonnöten
Die Neue Zürcher Zeitung plädiert für eine deutlich striktere Einwanderungspolitik:
„Die Bürger erwarten, dass die Regierung etwas unternimmt. ... Aber diese zeigt sich handlungsunfähig. Kein Wunder, verlieren die Bürger das Vertrauen und wenden sich jenen zu, die klarere Positionen beziehen. Beim Thema Einwanderung sind das die Konservativen, noch deutlicher aber das Rassemblement National, immerhin bereits grösste Oppositionspartei. Wenn Emmanuel Macron dereinst nicht als Steigbügelhalter einer Präsidentin Marine Le Pen in die Geschichte eingehen will, müssen er und seine Mitstreiter bei wichtigen Themen ihr Profil schärfen.“