Serbien: Vučić-Partei siegt, Opposition protestiert
Die nationalistische SNS von Serbiens Präsident Aleksandar Vučić liegt nach Auszählung fast aller Stimmen zur vorgezogenen Parlamentswahl mit rund 47 Prozent klar vorne. Wahlbeobachter und das liberale Oppositionsbündnis Serbien gegen Gewalt (SPN) - mit 23 Prozent der Stimmen auf Platz zwei - werfen dem Regierungslager massive Wahlmanipulation vor. SPN ruft das Volk zum Protest auf. Europas Presse ordnet ein.
Keine freie, demokratische Wahl
Serbien entfernt sich immer mehr von der EU, bedauert die Kleine Zeitung:
„Mit demokratischen, fairen und freien Wahlen hatte der jüngste serbische Urnengang – vor allem in Belgrad – erneut wenig zu tun. Überraschend waren weniger die Wahlmanipulationen an sich, sondern die Dreistigkeit, mit der sie ungekannt offen begangen und von Würdenträgern gar gerechtfertigt wurden. ... Tatsächlich entfernt sich Serbien immer weiter weg von rechtsstaatlichen und demokratischen Verhältnissen: Auf seinem langen Weg kommt der Beitrittskandidat stets weiter ab vom Ziel der Angleichung an die EU.“
Opposition muss einig bleiben
Vučićs Gegnern ist mehr als nur einen Achtungserfolg gelungen, meint die Süddeutsche Zeitung:
„[Sie haben] es nicht nur geschafft, über Monate hinweg nachhaltig gegen das Vučić-Regime zu protestieren, sondern endlich auch eine gemeinsame Wahlliste zu präsentieren. ... In der Hauptstadt Belgrad hätte die Opposition die Wahl womöglich gewonnen, wäre nicht massiv manipuliert worden. ... Für die bisher meist zersplitterte Opposition beginnt jetzt erst die härteste Zeit: Sie brauchen die Einigkeit, nicht nur um durchzuhalten, sondern um auch außerhalb von Belgrad einen Apparat aufzubauen und notwendiges Geld für ihre Arbeit aufzutreiben.“
So unfair wie in Ungarn
In Serbien ist es ebenso aussichtslos, gegen die Regierung anzutreten, wie in Ungarn, klagt Népszava:
„Die Opposition hatte Neuwahlen gefordert, aber einen großen Fehler begangen: sich nicht auch für neue Wahlbedingungen einzusetzen. ... Viele haben erst nach den jetzigen Wahlen verstanden: Sie haben keine Chance gegen das System, sie haben gar keine Mittel in der Hand, die Mediendominanz [der Regierungspartei] ist ein unüberwindbares Hindernis, außerdem ist die SNS zu einer Art Kult geworden, in dem das Grundprinzip gilt: Wer nicht für uns ist, ist gegen uns. ... Vučić hat in Serbien ähnliche Verhältnisse geschaffen wie sein Freund, der ungarische Premier, in Ungarn.“
Gute Beziehungen gestärkt
Für die regierungsnahe Magyar Nemzet ist das Wahlergebnis im südlichen Nachbarland eine frohe Botschaft:
„Die Stabilität auf dem Balkan liegt in unserem fundamentalen Interesse, ebenso wie im Interesse der EU, und [Premier] Viktor Orbán hat hart daran gearbeitet, die Grundlage dafür zu schaffen, nämlich die serbisch-ungarische Zusammenarbeit. Die Partei von Aleksandar Vučić hat wieder gewonnen und der sieht die Ungarn nicht als Gegner, sondern als Verbündete. ... Dies ist ein historischer Akt auf beiden Seiten.“
Nur scheinbar Moskau zugewandt
Nowaja Gaseta Ewropa sieht Serbien weiterhin auf Westkurs:
„Vučić wird die Kontrolle über die Regierung behalten und seinen Kurs der langsamen Annäherung an den Westen fortsetzen, den er vor den eigenen Wählern hinter heftiger nationalistischer Rhetorik verbirgt. Auch die Beziehungen Belgrads zum Kreml werden weitgehend unverändert bleiben. Seit dem Kriegsausbruch in der Ukraine verliert die 'russische Frage' für die serbische Wirtschaft und Außenpolitik immer mehr an Bedeutung. Dieser Trend wird sich fortsetzen, wobei Vučić versuchen wird, sich rhetorisch mit Moskau zu solidarisieren, und sich westlichen Sanktionen erst dann anschließen wird, wenn dies für den nationalistischen Teil seiner Wählerschaft akzeptabel ist.“
Fiasko für die Opposition
Die Konsequenzen für das gegen Vučić angetretene Bündnis analysiert Vreme:
„Sollte Vučićs Ergebnis stimmen, hat die demokratische und proeuropäische Opposition trotz eines relativen Erfolges ein Fiasko erlitten. Sie ist mehr oder weniger genau dort, wo sie schon vor den Wahlen war. ... Serbien gegen Gewalt akzeptiert die Wahlergebnisse der SNS nicht. Neben Anschuldigungen des Wahlbetrugs kündigt sie Einspruch bei den staatlichen Wahlkommissionen an, auch Strafanzeigen. Doch was nützt ihnen das? Und was werden sie tun, wenn sie bei den zuständigen Behörden auf Granit beißen? ... Rutscht Serbien in eine neue politische Krise oder ist dies der Schwanengesang einer Generation von Oppositionspolitikern?“
Der Mann für den Tanz auf allen Hochzeiten
Serbiens Spagat ist schon beeindruckend, unkt Corriere della Sera:
„Trotz wachsender Unzufriedenheit gilt Vučić auf der internationalen Bühne als einzige glaubwürdige Führungspersönlichkeit, die in der Lage ist, die Beziehungen zum Kosovo und den diplomatischen Spagat Belgrads zwischen Russland und der EU zu meistern ... Doch Serbiens Gratwanderung droht noch komplizierter zu werden: Im Gegensatz zu den Nachbarländern Bosnien, Albanien und Nordmazedonien, deren Regierungen die europäische Integration vorbehaltlos unterstützen, hat sich Belgrad - seit 2012 Kandidat - den Sanktionen gegen Moskau nicht angeschlossen, um die Beziehungen zu seinem Bruderland nicht zu verschlechtern, von dem es in Energiefragen abhängig ist.“