Krisen, Kriege, Brandstifter: Wohin strebt die Welt?
Weltweit wachsende Ungleichheit, Klimakrise, Kriege in der Ukraine und Nahost sowie - fast vergessen - in Jemen und Sudan, der Zuwachs antidemokratischer Kräfte: die Liste der aktuellen Krisen und Kriege ist lang, Lösungen kaum in Sicht. Anlass für Kommentatoren, sich zu fragen, ob die Ära internationaler Bemühungen um Frieden und Gerechtigkeit 2024 endgültig vorbei ist.
Machtpolitik kehrt zurück
Die Neue Zürcher Zeitung bedauert die Instabilität der Weltlage:
„Weltweit haben Autokraten keine Angst mehr davor, etwas zu tun, was gegen internationales Recht verstösst. Wir sind zurück im Zeitalter der reinen Machtpolitik, in dem der Stärkere bestimmt, was rechtens ist und was nicht. Einem Zeitalter, in dem Kriege wieder zur Normalität werden. Kriege um Grenzen oder Ressourcen, Kriege, die rasch internationale Dimensionen annehmen. In diesem Zeitalter verlieren internationale Organisationen oder Gerichte zunehmend an Relevanz. ... Demokratische Länder, die nicht in einer Welt leben wollen, wo nur die Macht des Stärkeren zählt, haben keine andere Wahl, als zusammenzurücken und ihre Allianzen mit den USA auszubauen.“
Darwin lässt grüßen
In die gleiche Kerbe schlägt La Stampa:
„Das internationale, das Kriegs- und das humanitäre Recht gibt es nicht mehr, es ist ein Postulat, eine normative Geste, die sich in der Realität nicht niederschlägt. Nicht etwa, weil es irgendeinem alles verschlingenden internationalen Schurken oder wütenden Demagogen gelingt, es durch die Anhäufung grausamer Fähigkeiten unanwendbar zu machen. Der isolierte Verstoß bringt das System nicht zum Einsturz, sondern stärkt es. ... Die Wunde sitzt tiefer: Niemand nimmt mehr Rücksicht auf das Recht, wenn er im internationalen Gefecht agiert oder Befehle an Soldaten und Guerillas erteilt. ... [Es gilt] die explizite Annahme der unerbittlichen Realität, dass wir alle auf darwinistische Weise unter dem Gesetz des Stärkeren leben.“
Zeit der Monster
Der Investigativ-Journalist und Herausgeber von Documento, Kostas Vaxevanis, bedauert, dass globale Ungerechtigkeiten einfach akzeptiert werden:
„Wir leben in der von Antonio Gramsci beschriebenen Zeit der Monster. Das Alte stirbt, oder besser gesagt, es verrottet und kontaminiert alles um sich herum, aber das Neue ist noch nicht geboren worden. Diese Zeitspanne ist das Zeitalter der Monster. ... Und Monster herrschen nur deshalb vor und sind nur deshalb gerechtfertigt, weil es scheinbar keinen Ausweg gibt. ... Ungleichheit ist heute die Art und Weise, wie die Welt funktioniert. Angesichts dieser enormen Ungleichheiten wird nicht die Notwendigkeit artikuliert, sie aufzuheben, sondern stattdessen Akzeptanz verankert und Manipulation geduldet.“
Wir brauchen beherrschte Standhaftigkeit
Der Politologe Jonathan Holslag warnt im Wochenblatt EW, früher Elsevier, vor Zynismus angesichts der Weltlage:
„Manchmal erscheint er als bessere Überlebensstrategie, um abseits Wohlstand für sich und die Kinder anzuhäufen. Die Welt da draußen, um die sollen sich mal die Berufspolitiker kümmern. Von allen Überlebensstrategien ist dies vielleicht die dümmste. Mit ängstlichen Opportunisten geht jede Art von Wohlstand und Macht vor die Hunde. ... Wir müssen den Kampf angehen gegen die angebliche Tapferkeit und Nüchternheit des Zynismus, der sich wie ein Virus durch diese kalte Zeit verbreitet. Beherrschte Standhaftigkeit, das Suchen nach dem Gleichgewicht zwischen Idealismus und Realismus, zwischen Stärken und Herausforderungen, das brauchen wir.“