Russland schreitet zur Urne: Gibt es eine Wahl?
In Russland haben am heutigen Freitag die dreitägigen Präsidentenwahlen begonnen. Neben Wladimir Putin stehen drei weitere Kandidaten auf dem Wahlzettel, die dessen Kurs aber grundsätzlich unterstützen. Oppositionskandidaten fehlen ebenso wie unabhängige internationale Wahlbeobachter. Kommentatoren ordnen das Ereignis ein und stellen auch die Frage, wie das demokratische Europa damit umgehen sollte.
Putin wählt
Wichtige Entscheidungen werden in Russland nicht von den Wählern getroffen analysiert Politiken:
„In 19 der 24 Jahre, seit denen Putin sich an die Macht klammert, befand sich Russland im Krieg. Er hat sich entschieden, Verfassungsänderungen zugunsten seiner eigenen Macht umzusetzen. Er hat beschlossen, dass es gefährlich sein muss, ihn herauszufordern. Er hat entschieden, die Medien mundtot zu machen. Er hat sich dafür entschieden, Stalin reinzuwaschen und dessen drakonische Unterdrückung wiederzuverwenden. Natürlich gibt es in Russland Wahlen. Putin wählt. Die Welt muss ihn als Herrscher Russlands ernst nehmen. Aber Putins Wahl wird niemals demokratisch und legitim sein.“
Der Zar ist nackt
Die Wahl in Russland taugt nicht mal mehr als Feigenblatt für die Autokratie, findet Postimees:
„Ein bekanntes Sprichwort lautet: 'Wenn etwas läuft wie eine Ente, quakt wie eine Ente und aussieht wie eine Ente, muss es eine Ente sein.' Dies ist jedoch nicht immer der Fall. ... Undemokratische Regime schmücken sich oft mit dem Feigenblatt demokratischer Eigenschaften, um als gleichwertig anerkannt zu werden. Manchmal - und bedauerlicherweise oft - tappt die Welt in die Falle der auffälligen Federn. Der Zar von Moskau ist jedoch nackt und niemand in der Welt nimmt die Präsidentschaftswahlen in Russland ernst. ... Einst waren sie ein Feigenblatt für die Autokratie, aber jetzt ist das Feigenblatt nur noch eine verdorrte Wurzel.“
Mit vorgehaltener Waffe
Blogger Denys Kasanskyj kritisiert in gazeta.ua die Durchführung der russischen Präsidentschaftswahl in den besetzten Gebieten der Ukraine:
„Russische Medien haben gezeigt, wie die so genannte 'Wahl' des russischen Präsidenten in der besetzten Stadt Sjewjerodonezk abläuft. Auf den Aufnahmen ist zu sehen, wie bewaffnete und vermummte Besatzer Rentner in deren Wohnungen aufsuchen und ihnen vorschlagen, ein Häkchen bei Wladimir Putin zu setzen. Propagandisten zeigen diese Videos allen Ernstes als Beweis für die Legitimität der Wahl und für eine große Zustimmung für Putin in den besetzten Gebieten der Ukraine. Doch in Wirklichkeit ist es nur eine bildhafte Veranschaulichung des Ausdrucks 'Wahlen unter vorgehaltener Waffe'.“
Ukraine unterstützen – auch für das andere Russland
In Eesti Päevaleht schreibt Timothy Garton Ash:
„Die russischen Wähler haben an diesem Wochenende keine wirkliche Wahl, da Putin seinen stärksten Gegner, Alexej Nawalny, töten und alle anderen Kandidaten ausschließen ließ, die auch nur den Anschein echten Wettbewerbs erweckt hätten. ... Doch die letzten Wochen haben uns gezeigt, dass es immer noch ein anderes Russland gibt. ... Zehntausende nahmen das Risiko späterer Repressalien auf sich, um Nawalny zu ehren. ... Bei seinem Begräbnis skandierten sie 'Nawalny! Nawalny!', 'Stoppt den Krieg!' und 'Ukrainer sind gute Menschen!' ... Der Westen sollte mehr tun, um dieses andere Russland zu unterstützen. ... Wenn wir der Ukraine helfen, den Krieg zu gewinnen, ist das auch das Beste, was wir tun können, um die Chancen für ein besseres Russland auf lange Sicht zu verbessern.“
Keine Anerkennung für dieses Gangster-Regime
Nawalnys Witwe Julia hat den Westen aufgefordert, die absehbare Wahl Putins nicht anzuerkennen, da Russland keine Demokratie, sondern das Regime eines "Gangsters" sei. Der jetzt in der Ukraine tätige russische Chirurg Andrej Wolna unterstützt auf Facebook diesen Vorschlag:
„Das einzige anständige politische Resultat dieser Show könnte die Nichtanerkennung dieser 'Veranstaltung' als Wahl sein, gefolgt von der Nichtanerkennung von Putins Legitimität. Also die Nichtanerkennung durch eben jenen 'kollektiven Westen' mit der potenziellen allmählichen Infiltration der Idee 'der Zar ist nicht echt' in jene Schichten der russischen Gesellschaft, von denen noch etwas abhängen könnte - zumindest in Zukunft. Das ist eine langwierige Sache. Doch andere Fristen haben wir leider nicht.“
Vier gute Gründe für Dawankow
Wissenschaftsjournalistin Asja Kasanzewa bezeichnet auf Facebook den Kandidaten Wladislaw Dawankow als noch die beste Wahl:
„Erstens ist er so weit gegen den Krieg wie es für jemanden, der zur Wahl steht, möglich ist. Vor dem Krieg sagte er, laut Wikipedia, dass Krieg für Russland nachteilig sei, jetzt spricht er sich auf seiner Wahlkampf-Website für Frieden und Verhandlungen aus (zu Russlands Bedingungen - aber was kann man in seiner Lage sonst sagen). Zweitens schlägt er auf seiner Wahlkampf-Website vor, diejenigen nicht zu verfolgen, die Russland verlassen haben und zurückkehren wollen (zum Beispiel mich). ... Drittens hat er für [die Wahlzulassung des Oppositionspolitikers] Nadeschdin unterschrieben. Viertens: Er ist 40 Jahre alt. ... Er ist nicht in der Sowjetunion aufgewachsen.“
Keine Unterstützung für dieses System
Der Chemieprofessor Boris Schuikow appelliert auf Facebook, weder Putin noch einen der anderen drei zugelassenen Präsidentschaftskandidaten zu wählen:
„Das Problem ist, dass es unmöglich ist, diesen Führer abzulösen, weil das System ihm nicht nur die Wahlkommission, sondern auch die Justiz, das Parlament samt seiner 'Opposition', die großen Medien, die Regionen und die Regierung vertikal unterordnet. ... Ein prinzipiell anderes System würde Gewaltenteilung und gegenseitige Kontrolle voraussetzen. ... Die Alternative ist – früher oder später – nur ein Zusammenbruch unter der Last der inneren und äußeren Widersprüche. Deshalb darf man in keinem Fall jemanden wählen, der dieses System stützt.“
Erhebliche Zweifel am Wahlgeheimnis
Dass sich die Verfolgung von Oppositionellen nach den Wahlen noch verstärkt, befürchtet Keskisuomalainen:
„Die Sorge des Kremls gilt der Wahlbeteiligung, obwohl der Machtapparat natürlich auch hier manipulieren kann, da Wahlbeobachter nicht zugelassen sind. … Den Behörden zufolge soll die Einführung der elektronischen Stimmabgabe in vielen Regionen den Urnengang erleichtern. Viele meinen jedoch, dass es dadurch nur einfacher wird, die Menschen zu kontrollieren und das Wahlgeheimnis zu verletzen. Nach den Wahlen werden wir sehen, wie Putin diejenigen bestraft, die seine Macht bedrohen, wie beispielsweise die auf den Namenslisten gefundenen Anhänger von Nadeschdin.“
Stalin-Nostalgie ist spürbar
Putins Popularität wird durch Kriege gesichert, beobachtet hvg:
„Stalins Beliebtheit wächst in Russland, weil die Sowjetunion unter seiner Herrschaft eine wichtige Rolle beim Sieg über Nazi-Deutschland spielte, zum Weltreich wurde und die Länder Ost- und Mitteleuropas unter Kontrolle hatte. Auch die Unterstützung für Putin basiert zu großen Teilen auf erfolgreichen Kriegen. Jedes Mal, wenn die Popularität von Präsident oder Premier Putin aufgrund interner wirtschaftlicher Probleme zu sinken beginnt, kommt ein Krieg - 2008 in Georgien, 2014 und 2022 in der Ukraine - und die Mehrheit der russischen Wähler, die imperiale Nostalgie fühlen, verzeihen dem Herrn im Kreml.“