Russland: Nadeschdin von Wahl ausgeschlossen
Wie erwartet ist Kriegsgegner Boris Nadeschdin nicht zur russischen Präsidentschaftswahl Mitte März zugelassen worden. Von den eingereichten 105.000 Unterschriften seien 9.147 ungültig gewesen, so die Zentrale Wahlkommission. Dass Nadeschdin gegen Amtsinhaber Putin kaum Wahlchancen eingeräumt wurden, mildert die Kritik in den Kommentarspalten nicht.
Sowjetunion 2.0
Die letzten Reste des Pluralismus sind verschwunden, analysiert The Spectator:
„Wirklich interessant ist nicht, dass Nadeschdin von der Wahl ausgeschlossen wurde, sondern was uns diese Angelegenheit über die Entwicklung des 'späten Putinismus' lehrt. ... Wahlen sind nun, genau wie in der Sowjetzeit, Rituale der Bürgerpflicht, bei denen es nicht darum geht, dass das Volk einen politischen Führer wählt, sondern dass es seine Unterwerfung zum Ausdruck bringt. Früher wurden für Putins System neue Begriffe wie 'hybrider Autoritarismus' geprägt. Doch heute ist von einer politischen Mischform nichts mehr zu sehen. Der späte Putinismus erinnert zunehmend an Breschnews Sowjetunion, wobei es anstelle der allmächtigen Partei nun einen Personenkult gibt.“
Putins Popularität ist eine labile Fiktion
Politologe Abbas Galliamow sieht auf Facebook einen Beleg für die Schwäche von Putins realem Rückhalt beim Wahlvolk:
„Nun ist offiziell bestätigt, dass die Mega-Popularität Putins, von der die offizielle Soziologie ständig spricht, diese ganze 'Sammlung um den nationalen Führer', von der Kreml-Sprecher Peskow regelmäßig spricht - dass all dies in Realität eine höchst künstliche und instabile Konstruktion ist, die keinerlei Begegnung mit der Wirklichkeit aushält. Sobald jemand dagegen pustet, bricht sie sofort zusammen. Selbst eine unbekannte Provinzjournalistin [Jekaterina Dunzowa] und ein liberaler Dauer-Prügelknabe aus dem Fernsehen [Nadeschdin] stellen eine Gefahr für dieses Konstrukt dar. Schaut: Der Kaiser ist nackt!“
Brutale Diktatur
Der Umgang mit Nadeschdin ist aus Sicht von NRC paradigmatisch für das heutige Russland:
„Die Art und Weise, wie Putin über seinen Wahlsieg Regie führt und jede Opposition unmöglich macht, unterstreicht, wie sehr Russland eine brutale Diktatur geworden ist. Dass er noch immer Wahlen ausschreibt, hat vor allem ein Ziel: Er will seinen Untertanen zeigen, dass er die Unterstützung eines überwältigenden Teils des Volkes genießt. Wahlen müssen seinem Regime Legitimierung verschaffen, damit er den eingeschlagenen Weg fortsetzen kann. Aber das Routine-Schauspiel, das in Russland immer wieder aufgeführt wird, hat nichts mit Demokratie und freien Wahlen zu tun. Solange Putin das Sagen hat, wird sich das nicht ändern.“
Eine Wahl als Farce
Der Ausschluss Nadeschdins überrascht die Kleine Zeitung nicht:
„Putin, dessen fünfte Amtszeit als fix gilt, erachtet ihn offenbar für gefährlich genug, um ihn vorab aus dem Rennen nehmen zu lassen. Nun bleiben nur noch drei völlig aussichtslose Konkurrenten, die anderen Kandidaten unterstützen Putin direkt oder haben kein Profil. Eine 'Wahl' als fatale Farce. Es ist zudem ein Hauptwesenszug einer Diktatur, Systemkritiker verstummen zu lassen – neben der Ausschaltung kritischer Medien und der Verhaftung der verbliebenen Mutigen aus dem Volk. ... Putin? Ließ die Verfassung eigens umschreiben und könnte 2030 sogar noch einmal kandidieren. Ein Regime, Lichtjahre weg von allem Europäischen.“
Endgültiger Sieg über die Gegner unmöglich
Es werden sich immer wieder neue Risse in Putins Herrschaftssystem auftun, glaubt Zeit Online:
„Putin mag noch so viele Kritiker in den Knast werfen oder ins Ausland treiben. Es werden immer neue Gegner emporkommen. ... Das alles heißt nicht, dass Putins Macht bedroht ist. Oder, dass es eine schweigende Mehrheit gibt, die seine Politik ablehnt. Alle Umfragen, ob unabhängig oder staatlich organisiert, sprechen dagegen. Putin wird ohne Zweifel an der Macht bleiben. Doch einen endgültigen Sieg über die Gegner seiner Politik und ihre Hoffnung auf Veränderung wird Putin nie erringen können.“