Europas Touristenmagnete ächzen unter Reise-Boom
Die beliebtesten Urlaubsorte Europas leiden zunehmend unter Hyper-Tourismus: Im Zeitraum von Januar bis April 2024 legten internationale Flugankünfte in Griechenland um 12,3 Prozent zu, auf den Balearen betrug 2023 das Plus an Touristen 9,1 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Auf Teneriffa und Mallorca kam es dieses Jahr bereits zu Massenprotesten wegen zu hoher Mieten; Venedig nimmt jetzt Eintritt. Was tun?
Es braucht einen koordinierten Ansatz
Die Europäische Kommission sollte sich mit dem Thema befassen, fordert La Libre Belgique:
„Abgesehen von den damit verbundenen ökologischen, ethischen und sozioökonomischen Fragen hat der Kampf gegen den Massentourismus ein solches Ausmaß angenommen, dass er einen koordinierteren, zentralisierten Ansatz verdient, da lokale Lösungen nur begrenzt greifen. Wäre das nicht ein Dossier für den ohnehin schon hohen Stapel der Kommission? Zweifellos. Es ist nicht davon auszugehen, dass die Redewendung 'zu viel Tourismus tötet den Tourismus' in Europa Wirklichkeit wird.“
Der ganze Planet ist käuflich
Für El Periódico de Catalunya ist Tourismus wilder Kapitalismus:
„Die Arbeit, Erschöpfung und Zeitmangel stecken sicherlich hinter dem Wunsch, zu entkommen. Dazu kommen der Drang, so schnell wie möglich zu reisen und ein persönlicher Produktivitätsdruck: Jede verfügbare Minute unseres Urlaubs muss genutzt werden. .... Tourismus ist Reisen als Konsumgut. Er wird von einer Struktur gestützt, die nicht Kultur oder Landschaft verkauft, sondern Verdrängung und Souvenirs. ... Der Massentourismus, der die Städte in eine Pappmaché-Kulisse verwandelt, ist einer der großen Beschleuniger der globalen ökologischen Krise. Er ist Teil eines wilden Kapitalismus, für den der ganze Planet – einschließlich Menschen – käuflich ist.“
Willkommen im Disneyland der Ägäis
Griechenlands Infrastruktur ist dem Ansturm nicht gewachsen, betont Naftemporiki:
„Von 12 Millionen Touristen im Jahr 2009 sind wir auf 33 Millionen im Jahr 2023 gekommen. ... Mit nicht vorhandener Modernisierung der Infrastruktur, mit dem Zusammenbruch des Primärsektors auf den Inseln, mit gravierenden Veränderungen der Wohnverhältnisse, mit irreversiblen Umweltschäden. Die Einheimischen fordern keine Veränderungen, sie leben ihren Geschäftstraum im Eldorado der 50-Tage-Saison. Die Regierung greift nicht ein und lässt die krisengebeutelte Mittelschicht gewähren. ... In der Zwischenzeit trocknet das Eldorado buchstäblich aus, aber das ist eine (Überlebens-)Übung für die Nachkommenden. Fürs Erste begrüßen wir Sie für eine weitere Saison im Disneyland der Ägäis.“
Besucher sind eine Bereicherung
Das Kopenhagener Stadtparlament hat sich für eine Touristensteuer ausgesprochen – Berlingske argumentiert dagegen:
„Selbstverständlich kann man meinen, dass Touristen zur Finanzierung öffentlicher Ausgaben beitragen sollten. Aber das tun sie schon jetzt zur Genüge. Sie zahlen im Voraus die wohl weltweit höchste Mehrwertsteuer auf Hotels und Restaurants. Und sie leisten indirekt ihren Anteil über die Einkommenssteuer der vielen im Tourismus Beschäftigten. ... Eine große Mehrheit der Dänen – acht von zehn – ist der Meinung, dass der Tourismus mehr positive als negative Effekte hat. ... Tourismus ist für viele eine wichtige Einkommensquelle. Zudem ist die Vielfalt der Sprachen der Dänemark-Besucher inspirierend.“
Bedürfnisse in Einklang bringen
Wohnraum muss für die lokale Bevölkerung an beliebten Urlaubszielen wieder erschwinglich werden, fordert The Guardian:
„In städtischen Zentren und Ferienorten, wo ausländische Investitionen in Immobilien und Kurzzeitvermietungen die Einheimischen verdrängt haben, braucht es eine Wohnungsbaustrategie, die die Vorteile des Tourismus mit den Prioritäten und Bedürfnissen der lokalen Bevölkerung in Einklang bringt. Auf Mallorca ist die durchschnittliche Monatsmiete für eine Wohnung weit über die finanziellen Möglichkeiten vieler Menschen gestiegen, die in der Tourismusbranche der Insel arbeiten. Die allmähliche Entstehung einer Zweiklassen-Sommerwirtschaft ist eine deprimierende Entwicklung in einer der schönsten Ecken Europas.“
Flüge müssen teurer werden
Die niedrigen Flugpreise verstärken das Problem, findet Irish Independent:
„Irland ist ein Inselstaat, und Urlauber müssen entweder fliegen oder die (teurere) Fähre nehmen, wenn sie das Land verlassen wollen. ... Die niedrigen Kosten verleiten die Menschen dazu, fast aus einer Laune heraus Flüge zu buchen – aber der attraktive Preis ist subventioniert. Warum? ... Übertourismus führt auch zu unangenehmen Erfahrungen für die Reisenden. Die Warteschlangen können lang sein, die Straßen verstopft und die Attraktionen überfüllt. Das liegt nicht nur an den Fluggesellschaften. ... Aber auch deren Rolle ist eben nicht zu vernachlässigen. Ein billiges Flugticket ist kein Schnäppchen, wenn man die Kosten für die Umweltverschmutzung bedenkt.“
Athen gehört nicht mehr seinen Einwohnern
Kathimerini macht die Lage in Athen und auf den griechischen Inseln Sorgen:
„Die Bürgersteige sind mit Tischen und Stühlen besetzt. Die Restaurants sind unerträglich teuer, und in den Freiluftkinos muss man einen Platz reservieren. ... Airbnbs gentrifizieren ganze Stadtteile und verdrängen die regulären Mieter. ... Athen gehört mehr und mehr den Besuchern statt seinen Einwohnern. An den Stränden entlang der Südküste kostet der Schatten am Wochenende so viel wie Champagner: 30-90 Euro [pro Tag] für einen Sonnenschirm. Schwimmen im Meer, selbst im Mai, ist daher für die Athener ein Luxus. Das Gleiche gilt für einen Kurztrip zu den Kykladen. Selbst auf einer nicht besonders begehrten Insel ist es schwer, ein Doppelzimmer für weniger als 120 Euro pro Tag zu finden.“
Olympia verschlimmert die Probleme
Die Folgen des Übertourismus zeigen sich derzeit besonders in Paris, kritisieren die Architekten Dominique Dupré-Henry und Tangui Le Dantec in Le Figaro:
„Paris war immer schon eine bei Touristen beliebte Stadt, aber ihr droht der Verlust dessen, was ihre außergewöhnliche urbane Qualität ausmachte – indem sie sich die Logik der exzessiven kommerziellen Nutzung aufzwingen lässt, darauf verzichtet, die Auswüchse des Übertourismus zu regulieren, die Mittel für Instandhaltung kürzt und die lokale Demokratie ignoriert. Die Entscheidung, die Wettkämpfe der Olympischen Spiele an einigen der schönsten historischen Pariser Orte auszutragen, auf die Gefahr hin, diese zu opfern und die gesamte Stadt zu verstopfen, offenbart aller Welt ihren Verfall und den der Lebensbedingungen in der Hauptstadt.“