Was bringt ein Handy-Verbot an Schulen?
In Italien, Frankreich, Ungarn, den Niederlanden und Großbritannien sind Handys – mit im Detail unterschiedlichen Regelungen – bereits weitgehend aus dem Schulalltag verbannt. Zurzeit wird in anderen Ländern wie Finnland oder Estland über entsprechende Verbote nachgedacht – und in den Medien debattiert.
Recht auf sicheren und friedlichen Unterricht
Eine angemessene Lernumgebung sollte Priorität haben, fordert Kaleva:
„Kritiker mahnen, Beschränkungen für die Nutzung von Mobiltelefonen würden die digitalen Fähigkeiten der Schüler verringern und die Schule für sie langweiliger machen. Als ob man eine ernsthafte Sucht behandelt, indem man das richtige Maß an Sucht zulässt. ... Einige Juristen meinen, ein Verbot oder das Einkassieren von Handys während des Schultages könnte die Grundrechte der Kinder verletzen: das Recht auf Eigentum, vielleicht auch das auf freie Meinungsäußerung und Privatsphäre. Dies gilt es abzuwägen, aber es muss möglich sein, die Interessen des Kindes an erste Stelle zu setzen. Jedes Kind und jeder junge Mensch hat das Recht, in einer sicheren und friedlichen Lernumgebung unterrichtet zu werden.“
Vorbild der Eltern ist wichtiger
Õhtuleht sieht an anderer Stelle mehr Handlungsbedarf:
„Jedes strenge Verbot führt zu Trotzreaktionen und steigert zudem noch das Interesse am Verbotenen, insbesondere bei jungen Menschen. Die Smartphone-Welt ist über uns hereingebrochen wie aus der Tube gequollene Zahnpasta. Sollten wir nun versuchen, die Zahncreme zurück in die zerdrückte Tube zu stopfen? Oder versuchen wir, sie wenigstens zum Zähneputzen zu verwenden? Leider sind oft genug auch wir Erwachsenen kein gutes Vorbild, verbringen unsere ganze wache Zeit mit albernen Tiktok-Clips, teilen unheilvolle Soundbites und verbreiten Gott weiß wessen Agenden. ... Perfekte Lösungen gibt es in der realen Welt nicht. Aber wir könnten wenigstens damit beginnen, als Eltern ein besseres Vorbild zu sein.“
Kinder lernen nicht nur im Unterricht
Auch Ilta-Sanomat pocht auf die Verantwortung der Familie:
„Seit mehreren Jahren wird über die Verschlechterung der Lernergebnisse gesprochen. Es lohnt sich, alle Möglichkeiten auszuprobieren, die das Lernen unterstützen können. Jeder weiß aus eigener Erfahrung, dass das Surfen auf dem Mobiltelefon ablenkt und die Konzentration beeinträchtigt. ... Mit dem Verbot kann die Schule den Schultag schützen, aber sie kann nichts gegen schlechte Vorbilder tun. Wenn die Schüler zu Hause erleben, dass die ganze Familie vor dem Handy sitzt, hat es die Schule schwer, dieses Modell aufzubrechen.“
Die Regeln besser Pädagogen überlassen
Die Autonomie der Schulen ist ein hohes Gut, gibt Helsingin Sanomat zu bedenken:
„Die derzeitige Regierung hat in aller Eile Gesetzentwürfe ausgearbeitet, deren Auswirkungen nicht richtig untersucht wurden. Bildungspolitik sollte nicht übereilt gemacht werden. … Es gibt auch eine prinzipielle Ebene: Die Stärke des finnischen Bildungssystems hat immer darin bestanden, dass Bildungseinrichtungen ein hohes Maß an Autonomie bei der Entscheidung hatten, wie Dinge organisiert werden sollten. Die Art und Weise, wie Lehrer Regeln und Praktiken auch in Bezug auf Mobiltelefone umsetzen, ist das, was man Pädagogik nennt. ... Es ist wichtig, dass die Betroffenen bei diesem Thema - die Kinder und Jugendlichen - an der Debatte beteiligt sind. So würden Regeln und Verbote womöglich auch besser eingehalten.“
Verdächtig fortschrittsfeindlich
In Ungarn wird das ab September geltende Verbot den modernen digitalen Unterricht lähmen, fürchtet die ehemalige sozialistische Politikerin Ildikó Lendvai in Népszava:
„Wenn für den Unterricht nötig und mit Sondergenehmigung durch Schulleitung oder Lehrkraft dürfen Handys für eine Schulstunde mitgebracht werden. Der Haken: Für den Antrag müssen so viel bürokratische Formalitäten erledigt werden, dass ich denke, dass selbst die enthusiastischste Lehrkraft aufgeben wird. ... Mir ist klar, dass auch in Frankreich, England und anderswo einschränkende Regeln gesucht werden (allerdings nach langen Fachdiskussionen). Und ich würde auch nicht so eine große Sache aus dem Handy-Krieg machen, wenn die Maßnahme nicht in die mittelalterliche, modernisierungs- und fortschrittsfeindliche Haltung des ungarischen Staats passen würde.“
Ruhe zum Arbeiten
Ein Handyverbot wäre auch im Interesse der Schüler, glaubt Ilta-Sanomat:
„Ein Verbot von Mobiltelefonen würde auch das Mobbing in den sozialen Medien, das sich sowohl gegen Schüler als auch gegen Lehrer richtet, zu einem gewissen Grad reduzieren. Zumindest würden Videos, die in der Schule oder in den Pausen aufgenommen werden, nicht im Internet verbreitet werden, um sich über andere lustig zu machen. Das Wichtigste ist jedoch die Wahrung des Arbeitsfriedens. Wenn die Schüler nicht mehr mit dem Smartphone herumspielen, wird sich ihre Konzentrationsfähigkeit verbessern. Es könnte sogar sein, dass Finnland wieder an die Spitze des Pisa-Rankings zurückkehren würde, wenn Handys aus dem Klassenzimmer verbannt würden. Die digitalen Fähigkeiten der Schüler dürften wohl kaum unter der Änderung leiden.“
Teenager sind fast erwachsen
Die ungarische Regierung strebt ein Handyverbot in den Schulen ab September an, was die regierungsnahe Mandiner nur teilweise richtig findet:
„Dass das Kind in der unteren und oberen Grundschule [in Ungarn bis zur achten Klasse] das Telefon nicht in der Hand haben muss, ist unbestreitbar. Bei Grundschülern kann es nicht in Frage kommen, dass der Schüler meint, selbst zu wissen, was gut für ihn oder sie sei. ... Aber ab der neunten Klasse ist das Telefonverbot nur eine bequeme Selbsttäuschung und keine Pädagogik. Es ist eine Verschleierung der Tatsache, dass das Kind zwischen der neunten und zwölften Klasse kein Kind mehr ist, sondern ein – noch nicht vollends ausgereifter – Erwachsener.“