Wie könnte ein besserer Tourismus aussehen?
Prognosen zufolge bahnt sich für 2024 ein Rekord bei den Gäste- und Umsatzzahlen im europäischen Tourismus an. Doch immer mehr Urlaubsorte klagen über die negativen Folgen des Booms, etwa für die Umwelt und den Wohnungsmarkt, aber auch für die Reiseerfahrung der Touristen selbst. Kommentatoren diskutieren mögliche Gegenmaßnahmen und bereits vorhandene Vorbilder.
Schöne Ecken auf Google verschwinden lassen
Eldiario.es hat einen Geheimtipp für überlaufene Touristen-Hot-Spots:
„Um etwas zu bewahren, was dir gefällt, musst du es verstecken. Das hat sich zum Beispiel die Stadtverwaltung von Barcelona zu Herzen genommen, als sie im April die Buslinie 116 verschwinden ließ. Damit wollte sie den von den Touristenmassen genervten Anwohnern einen besseren Service bieten, da die Linie [an der Touristenattraktion] Parc Güell hielt. Die Strecke erschien einfach nicht mehr auf Google Maps und Citymapper. ... Wir haben unsere Geografie bis zum Äußersten entblößt. ... Wir sollten sie wieder bedecken. ... Das ist der einzige Weg. Es geht nicht darum, Besucher fernzuhalten, sondern darum, sie davon abzuhalten, das zu verschlingen, was wir bewahren wollen.“
Alles auf die Gäste ausgerichtet
Manolis Doudounakis, Dozent an der Technischen Universität Kretas, schreibt in Efimerida ton Syntakton über die Inselstadt Chania:
„Fast alle Aktivitäten der Gemeinde sind auf Touristen ausgerichtet. Teure Projekte von zweifelhaftem ästhetischem Nutzen werden nur dort durchgeführt, wo der Besucher 'vorbeikommt'. Die übrigen Gebiete erleben eine beispiellose Vernachlässigung. ... Darüber hinaus entstehen negative Nebeneffekte. ... Studenten, Professoren, Lehrer und Beamte finden keine angemessene Unterkunft, während die Lebenshaltungskosten durch das magere öffentliche Gehalt nicht gedeckt werden können. ... Die von der Mitsotakis-Regierung geförderte Entwicklung durch Tourismus, erneuerbare Energien und Immobilien ignoriert das Entwicklungspotenzial des Landes, verschwendet die wenigen verfügbaren öffentlichen Ressourcen und muss verworfen werden.“
Auf Anreize setzen
Kopenhagen hat in diesem Sommer mit der Kampagne CopenPay ein Modell getestet, um Touristen und Einheimische zu klimafreundlichem Handeln zu animieren: Wer Abfall aufsammelt, Unkraut jätet oder das Fahrrad nimmt, wird demnach beispielsweise mit Gratiskaffee oder freien Eintritten belohnt. Sydsvenskan zeigt sich angetan:
„Diese Tausch-Ökonomie kann auf mehr Arten nützlich sein, als nur die negativen Effekte eines ansonsten wertvollen Tourismus abzumildern. Sie kann Zusammengehörigkeit und kulturellen Austausch fördern, zwischen Einwohnern und Gästen wie auch unter den Kopenhagenern selbst. CopenPay ermöglicht es den Teilnehmenden, sich auf alltägliche Weise um ihre Stadt zu kümmern und gleichzeitig Kontakte zu knüpfen und Erfahrungen auszutauschen.“
Klar informieren, mit Quoten steuern
In Le Temps beschreibt Marta Sofia dos Santos, Direktorin des vielbesuchten Schlosses Chillon am Genfersee, warum Amsterdams Museen als Vorbild dienen können:
„Wir lassen uns von ausländischen Modellen inspirieren, in denen Systeme für Vorausbuchungen und Besucherquoten eingeführt wurden, um die Anzahl der Gäste zu regulieren. … Internationale Beispiele wie das Anne-Frank-Haus oder das Rijksmuseum in Amsterdam bieten eine Quotenlösung an und zeigen, wie klare Informationen und ein effektives Management die Erfahrung der Besucher stark verbessern können. Diese Beispiele erfordern jedoch eine digitale Strategie, die nicht für alle Einrichtungen im Bereich des Möglichen ist. Es muss deshalb auch in die Weiterbildung der Angestellten investiert werden.“
Gebühren und Beschränkungen dürfen kein Tabu sein
El País fordert eine neue Definition von Erfolg:
„Verwaltungen, Bürger und eine Branche, die sehr wohl selbst weiß, dass Erfolg nicht an Besucherzahlen gemessen wird, müssen nach Lösungen suchen. ... Ein erstes Handlungsfeld ist das der Ferienwohnungen. ... Wir müssen uns aber auch fragen, ob eine staatliche Abgabe eingeführt oder Zugangsbeschränkungen festgelegt werden sollten, um die Reisendenströme zu entzerren und umzuverteilen. ... Verbesserung sollte nicht nur anhand der Einnahmen der Branche, sondern auch mittels der Zufriedenheit der Bürger gemessen werden. So wird sichergestellt, dass aus einer Erfolgsgeschichte kein Schiffbruch wird.“
Das Problem umfassend angehen
Die stellvertretende Chefredakteurin von El Periódico de Catalunya, Gemma Martinez, fordert zusammenhängende Maßnahmen:
„Niemand zweifelt daran, dass der Tourismus neu überdacht werden muss, nicht einmal die Branche selbst. ... Eine umfassende Reflexion von Fachleuten, öffentlicher Verwaltung und wirtschaftlichen und sozialen Akteuren ist wünschenswert. Das ist allemal besser als eine bloße Aneinanderreihung von unverbundenen Flickenteppichen nach Gebieten oder Teilbereichen wie Touristenwohnungen. Auch wenn Beschränkungen möglich sind, finde ich positive Maßnahmen wie in Dänemark besser. ... Das Land hat beschlossen, Boni für Besucher einzuführen, die sich umweltfreundlich verhalten. ... Das sollten wir uns merken.“
Lokale Gemeinschaften beteiligen
Wie Griechenland dafür sorgen will, dass Land und Leute vom boomenden Tourismus profitieren, statt Schaden zu nehmen, erklärt Tourismusministerin Olga Kefalogianni in To Vima:
„Die Maßnahmen, die wir derzeit implementieren, orientieren sich an den Werten der Mäßigung und des Gleichgewichts, der Sorge um den Schutz der natürlichen und kulturellen Umwelt und dem Respekt für die Menschen und die lokalen Gemeinschaften. ... In diesem Rahmen ist es unsere strategische Entscheidung, die lokalen Gemeinschaften in die Steuerung der touristischen Aktivität einzubeziehen, um sicherzustellen, dass die Vorteile des Tourismus auf faire und lohnende Weise verteilt werden. ... Wir haben moderne Instrumente zur Umsetzung unserer Strategie eingerichtet wie die Nationale Beobachtungsstelle für nachhaltige Tourismusentwicklung.“
Schluss mit dem Negativismus!
Die Schweizer sollten sich lieber über den Wiederanstieg der Gästezahlen freuen, als zu klagen, wirft die Aargauer Zeitung ein:
„'Negativitätsverzerrung'. Diese offenbart sich in der Schweiz kollektiv, wenn es um den Tourismus geht. Jahrelang wurde lamentiert, das Land sei im Niedergang. Im Winter würden uns die Österreicher abhängen und im Sommer sei in den Bergen nichts los. Das hat sich geändert. Alle zufrieden? Mitnichten. 'Übertourismus!', wird gemurrt. ... Das Wetter lässt sich nicht beeinflussen, die Touristenströme nur bedingt. Überwinden wir die 'Negativitätsverzerrung' und freuen uns, dass die Amerikaner die Schweiz lieben wie kaum je zuvor. Sie geben hier viel Geld aus.“