Keine Festnahme: Putin auf Besuch in der Mongolei
Russlands Präsident Wladimir Putin ist trotz internationalen Haftbefehls gegen ihn in die Mongolei gereist. Präsident Uchnaagiin Chürelsüch empfing Putin am Dienstag mit Ehrengarde in Ulaanbaatar. Dabei wäre die Mongolei als Mitgliedsland des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag eigentlich verpflichtet gewesen, den russischen Diktator festzunehmen. Europas Presse erörtert die Lage.
Verrat an verschleppten ukrainischen Kindern
Dass die Mongolei Putin nicht ausliefert, unterminiert das internationale Recht, konstatiert Sydsvenskan resigniert:
„Das Einschreiten der mongolischen Polizei richtete sich nicht gegen den russischen Präsidenten, sondern gegen die Bürger des Landes, die gegen die Ankunft von Herrn Putin protestierten. Damit das System des Internationalen Strafgerichtshofs funktioniert, müssen alle 124 Länder, die das Römische Statut unterzeichnet haben, ihren Verpflichtungen nachkommen. Daher ist die Untätigkeit der Mongolei eine Bedrohung für die internationale Rechtsstaatlichkeit, die der IStGH aufrechterhalten will. Und ein Verrat an den ukrainischen Kindern, die in Russland festgehalten werden.“
Moskau führt den Westen vor
Polityka ist nicht überrascht, dass es keine Verhaftung gab:
„In Anbetracht der Tatsache, dass die Mongolei permanent zwischen China und Russland balancieren und gleichzeitig um ihre Unabhängigkeit kämpfen muss, konnte man kaum einen so schwerwiegenden Schritt wie die Verhaftung des russischen Führers von den Behörden in Ulaanbaatar erwarten. Putin ist sich dessen wohl bewusst – wahrscheinlich ist er deshalb überhaupt in die Mongolei gereist. Er tanzt den europäischen und amerikanischen Liberalen, die an den Grundsätzen der Weltordnung der Nachkriegszeit festhalten, wieder einmal auf der Nase herum.“
Profit aus russischen Problemen schlagen
Für Ulaanbaatar sind die Beziehungen zu Moskau schlichtweg lukrativ, analysiert Glavkom:
„Die Mongolei kann man generell verstehen. Das ist die gleiche Logik wie die der afrikanischen Länder und auch der in punkto Entwicklung und Einfluss sehr unterschiedlichen Staaten, die aktiv den Brics-Staaten beitreten [oder beitreten wollen]. Sie alle nutzen einfach den Moment, in dem sie billige oder sogar kostenlose Ressourcen und Geld von Russland erhalten können. Selbst die Türkei konnte nicht widerstehen und hat ihre Absicht bekundet, den Brics beizutreten. Die Mongolei ist ein armes Land. Daher war eigentlich ziemlich offensichtlich, worauf die Wahl zwischen einem Konflikt mit Putin und dem Geldverdienen mit den russischen Problemen fällt.“
Es geht um die Gas-Pipeline nach China
Radio Kommersant FM beschreibt das wichtigste wirtschaftliche Ziel des Putins-Besuchs:
„Die befreundete Mongolei hat, so schreibt die Presse in China und anderswo, die für Russland strategisch wichtige Gaspipeline 'Kraft Sibiriens 2' aus ihrem vorrangigen nationalen Entwicklungsplan bis 2028 gestrichen. Dabei geht es um eine neue Route für den Transport von russischem Gas nach China. Die Variante, die Leitung durch die Mongolei zu verlegen, gilt als die günstigste. Der Kreml beabsichtigt offenbar, seine Partner von der Rentabilität des Projekts zu überzeugen. Allerdings scheint es, dass China als Hauptabnehmer des Brennstoffs in dieser Sache keinen Eifer an den Tag legt.“
Ulaanbaatar ist unabhängig
Neatkarīgā sieht Russlands Einfluss im Nachbarland trotz allem als begrenzt an:
„Auch wenn Russland solche Besuche nutzen möchte, um seinen Einfluss zu erhöhen, verfügt der Kreml hier nicht über die üblichen Instrumente. Die Mongolei hat sich in den letzten 35 Jahren ohne die Beteiligung Russlands entwickelt, die Bevölkerung wächst, es gibt ein freies Informationsumfeld, Englisch ist die wichtigste Fremdsprache. ... Mongolen sind entweder Buddhisten oder Ungläubige oder pflegen nationale schamanische Traditionen, was bedeutet, dass die Orthodoxen des Moskauer Patriarchats hier nicht zu finden sind. Es gibt auch keine sichtbaren Berichte darüber, dass eine der politischen Parteien offen oder heimlich Geld vom Kreml angenommen hätte.“
Schlag gegen den Internationalen Strafgerichtshof
Mit der Reise will Putin zeigen, dass er nicht nur das Völkerrecht, sondern auch die internationale Justiz ignorieren kann, meint Publizist Witalij Portnykow in Radio Swoboda:
„Was passiert, wenn Putin ein Land besucht, das das Römische Statut unterzeichnet hat, und sicher nach Hause zurückkehrt? Das schafft einen gefährlichen Präzedenzfall, vor allem für die Länder des Globalen Südens, die denken könnten: Putin ist in die Mongolei gereist, niemand hat ihn dort verhaftet und alles ist gut - sollten wir Putin vielleicht auch einladen? Im Ergebnis wird die Autorität des Internationalen Strafgerichtshofs erheblich geschwächt. Genau das versucht Putin zu erreichen und genau deshalb fliegt er in die Mongolei.“
Sein Image könnte echten Schaden nehmen
Putin unterschätzt die demokratischen Kräfte in der Mongolei, schreibt der russische Soziologe Igor Eidman in einem von Obosrewatel übernommenen Telegram-Post:
„Leider ist es unwahrscheinlich, dass Putin in der Mongolei verhaftet wird. Aber irgendwelche für ihn peinlichen Vorfälle (etwa Erlass eines Haftbefehls durch ein mongolisches Gericht, gewisses Handeln des Justizministeriums oder entsprechende Forderungen der Öffentlichkeit) sind nicht auszuschließen. Selbst ein solcher Ausgang des Besuchs wäre eine regelrechte Demütigung und ein Schlag gegen Putins Ruf in der russischen Führungsspitze. Wenn der Diktator selbst in der stets 'freundlichen' Mongolei gedemütigt wird, wäre das ein Beweis dafür, dass er Russland auf der internationalen Bühne nicht mehr vertreten kann.“