Soll die Ukraine Nuklear-Macht werden?
Nach dem Ende der UdSSR hatte die Ukraine im Budapester Memorandum dem Abzug von sowjetischen Atomwaffen zugestimmt. Im Gegenzug erhielt sie Sicherheitsgarantien, die sich nun als wertlos herausstellten. Laut Berichten der britischen Zeitung The Times soll eine Untersuchung für das ukrainische Verteidigungsministerium nun zum Schluss kommen, die Ukraine könne zeitnah selbst Atombomben herstellen. Die Presse ist gespalten.
Drohkulisse könnte Kyjiw nutzen
Allein der Anschein einer atomaren Aufrüstung könnte für die Ukraine strategisch sinnvoll sein, analysiert The Independent:
„Die Ukrainer beklagen schon lange die Entscheidung ihrer ersten postkommunistischen Regierung im Jahr 1994, die Atomwaffen aus der Sowjetzeit auf ihrem Territorium an Russland zu übergeben. ... Jede im Krisenfall im Schnellverfahren hergestellte ukrainische Atombombe hätte kaum größeren militärischen Wert. Der Einsatz einer solchen Waffe gegen ein ziviles Ziel wie Moskau würde Kiews Verbündete empören – und könnte eine katastrophale Vergeltungsaktion Putins provozieren. Doch das Thema aufs Tapet zu bringen, könnte für Präsident Selenskyj einen rationalen Zweck erfüllen. Es könnte die Europäer und US-Amerikaner unter Druck setzen, Russland zum Frieden zu drängen, damit Selenskyj nicht zu weit geht.“
Nur im äußersten Notfall
Verteidigungsexperte Rainer Saks bezweifelt in Postimees, dass die Führung der Ukraine Nuklearwaffen entwickeln will:
„Die ukrainische Führung, bis hin zum Präsidenten, hat diese Möglichkeit ausgeschlossen, obwohl sie die im Budapester Memorandum getroffene Entscheidung inzwischen bedauert, weil die militärische Großoffensive Russlands durch den Besitz einer Atomwaffe hätte vermieden werden können. ... Der Verfasser des ukrainischen Papiers, den die Times konsultiert hat, argumentiert jedoch weiter, dass eine Atombombe entstehen könnte, wenn die Militärhilfe der USA und anderer Länder zurückgezogen würde und die russische Armee Pawlohrad (in der Nähe von Dnipro) angreifen würde.“