Proteste in Georgien: Wohin steuert das Land?

Die Ankündigung der Regierung, den Prozess der Annäherung an die Europäische Union auszusetzen, stößt in Georgien auf großen Widerstand. Seit mehreren Tagen protestieren dagegen Zehntausende, in Tiflis liefern sich die Demonstranten jede Nacht Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Das Land steht gesellschaftlich wie außenpolitisch an einem Scheideweg.

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Deník N (CZ) /

Szenario wie 2014 in Kyjiw

Deník N fühlt sich bei den Bildern aus Tiflis an den ukrainischen Maidan erinnert:

„Damals wandte sich der ukrainische Präsident Janukowitsch auf Anraten seines Kameraden und Beschützers, des russischen Präsidenten Putin, von Europa ab, was zur Besetzung der Krim und des Donbas und schließlich zu einem großen Grabenkrieg führte, der ganz Europa bedroht. ... Jetzt steht Georgien vor der gleichen Bedrohung wie die Ukraine vor zehn Jahren. Wer der georgischen Regierung den Hinweis gegeben hat, dass Europa der Feind ist, bleibt unklar. ... Aus Scharmützeln kann leicht ein Bürgerkrieg werden. Der würde vor allem einem Freude bereiten, der weit weg sitzt - im Kreml.“

Dnevnik (BG) /

Neuwahlen als einzige gewaltlose Lösung

Für Dnevnik gibt es verschiedene Szenarien:

„Eine Möglichkeit der Entwicklung wäre, dass der 'Georgische Traum' die Demonstrationen mit harter Hand und Russlands Segen niederschlägt. ... Verhaftungen, Schauprozesse und die Verfolgung der Zivilgesellschaft werden folgen, mit Hilfe des neu verabschiedeten Gesetzes über ausländische Agenten. Die andere Möglichkeit wäre eine Wiederholung der farbigen Revolutionen der 2000er Jahre oder - im schlimmsten Fall - des Maidan von 2013-2014. ... Das beste Szenario wären Neuwahlen unter internationaler Aufsicht.“

Süddeutsche Zeitung (DE) /

Tiflis rutscht Richtung Kreml

Die Süddeutsche Zeitung macht sich Sorgen:

„In Tiflis schert es die Herrschenden schon lange nicht mehr, was das Volk sich wünscht. ... Die Mehrheit der Georgier aber fühlt sich doppelt und dreifach betrogen. Viele glauben ihrer Regierung längst nicht mehr, dass sie es ernst meint mit Europa, mit der Demokratie. Über die Jahre hat sie ein repressives Gesetz nach dem anderen erdacht – oder von Russland abgeschaut. In ihrem Balanceakt zwischen Brüssel und Kreml ist sie immer stärker Richtung Kreml gerutscht. Es dürfte ab hier nur schlimmer werden.“

Ukrajinska Prawda (UA) /

Kompromiss mit Westen scheint außer Reichweite

Ukrajinska Prawda analysiert die Gründe für die Entscheidung der georgischen Führung, die EU-Integration auf Eis zu legen:

„Diese Eskalation scheint für die Regierungspartei Georgischer Traum aus einem Grund notwendig zu sein: Um dem Westen zuvorzukommen und zu zeigen, dass die Entscheidung, die Beziehungen einzufrieren, in Tiflis getroffen wurde und keine Initiative der EU ist. Das bedeutet, dass Tiflis nicht mehr an die Möglichkeit eines Kompromisses mit dem Westen glaubt. Die Ereignisse vom 28. und 29. November erhöhen aber deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass der Westen die jüngsten Parlamentswahlen nicht als legitim anerkennen wird und Sanktionen gegen die Schlüsselvertreter der georgischen Führung verhängt. Zugleich würden die Proteste gegen die Regierung somit eine neue Dimension erreichen.“

Magyar Nemzet (HU) /

Die EU ist nicht mehr für jeden attraktiv

Die Forderungen der EU kommen in Georgien nicht bei allen gut an, meint die regierungsnahe Magyar Nemzet:

„Man kann nicht behaupten, dass es keinen russischen Einfluss gibt, aber auch nicht dass die EU keinen politischen Druck [auf Georgien] ausübe. Natürlich ist im Hintergrund ein ständiger Kampf im Gange, bei dem jedes Land versucht, so viele Verbündete wie möglich auf seine Seite zu ziehen. ... Die EU ist eine Interessengemeinschaft und kein ideologischer Block. Sie kann nicht begründen, warum Georgien Gesetze zur Ausweitung der LGBTQ-Rechte verabschieden sollte, aber sie fordert eine solche Umgestaltung. Wenn Tiflis sich dagegen ausspricht, wird es als pro-russisch bezeichnet. Aber diese Klassifizierung gefällt verständlicherweise nicht jedem.“