Proteste in Georgien: Wohin steuert das Land?
Die Ankündigung der georgischen Regierung, den Prozess der Annäherung an die Europäische Union auszusetzen, löst in Georgien großen Widerstand aus. Zehntausende protestierten dagegen übers Wochenende und lieferten sich regelrechte Straßenschlachten mit den Sicherheitskräften. Wie bereits nach der Wahl Ende Oktober fordern sie Neuwahlen unter internationaler Aufsicht. Das Land steht erneut am Scheideweg.
Tiflis rutscht Richtung Kreml
Die Süddeutsche Zeitung macht sich Sorgen:
„In Tiflis schert es die Herrschenden schon lange nicht mehr, was das Volk sich wünscht. ... Die Mehrheit der Georgier aber fühlt sich doppelt und dreifach betrogen. Viele glauben ihrer Regierung längst nicht mehr, dass sie es ernst meint mit Europa, mit der Demokratie. Über die Jahre hat sie ein repressives Gesetz nach dem anderen erdacht – oder von Russland abgeschaut. In ihrem Balanceakt zwischen Brüssel und Kreml ist sie immer stärker Richtung Kreml gerutscht. Es dürfte ab hier nur schlimmer werden.“
Kompromiss mit Westen scheint außer Reichweite
Ukrajinska Prawda analysiert die Gründe für die Entscheidung der georgischen Führung, die EU-Integration auf Eis zu legen:
„Diese Eskalation scheint für die Regierungspartei Georgischer Traum aus einem Grund notwendig zu sein: Um dem Westen zuvorzukommen und zu zeigen, dass die Entscheidung, die Beziehungen einzufrieren, in Tiflis getroffen wurde und keine Initiative der EU ist. Das bedeutet, dass Tiflis nicht mehr an die Möglichkeit eines Kompromisses mit dem Westen glaubt. Die Ereignisse vom 28. und 29. November erhöhen aber deutlich die Wahrscheinlichkeit, dass der Westen die jüngsten Parlamentswahlen nicht als legitim anerkennen wird und Sanktionen gegen die Schlüsselvertreter der georgischen Führung verhängt. Zugleich würden die Proteste gegen die Regierung somit eine neue Dimension erreichen.“
Die EU ist nicht mehr für jeden attraktiv
Die Forderungen der EU kommen in Georgien nicht bei allen gut an, meint die regierungsnahe Magyar Nemzet:
„Man kann nicht behaupten, dass es keinen russischen Einfluss gibt, aber auch nicht dass die EU keinen politischen Druck [auf Georgien] ausübe. Natürlich ist im Hintergrund ein ständiger Kampf im Gange, bei dem jedes Land versucht, so viele Verbündete wie möglich auf seine Seite zu ziehen. ... Die EU ist eine Interessengemeinschaft und kein ideologischer Block. Sie kann nicht begründen, warum Georgien Gesetze zur Ausweitung der LGBTQ-Rechte verabschieden sollte, aber sie fordert eine solche Umgestaltung. Wenn Tiflis sich dagegen ausspricht, wird es als pro-russisch bezeichnet. Aber diese Klassifizierung gefällt verständlicherweise nicht jedem.“