Paris bekommt mehr Zeit zum Sparen
Die EU-Kommission hat am Mittwoch über die Haushalte der Mitgliedsstaaten entschieden. Frankreich erhält einen Aufschub bis 2017, um seine Probleme in den Griff zu bekommen, bleibt aber im Defizitverfahren. Italien und Belgien wendeten Verfahren ab. Endlich rückt die EU von der strikten Sparpolitik ab, freuen sich einige Kommentatoren. Andere kritisieren, dass sie im Umgang mit den Krisenländern mit zweierlei Maß misst.
Draghi sabotiert Stabilitätspakt
Erneut werden die Abmachungen des Stabilitätspaktes von der Realität überholt, kritisiert die linksliberale Tageszeitung De Volkskrant: "Dass der Euro nicht mehr wankt, ist nicht den Mitgliedsstaaten zu verdanken, sondern Mario Draghi, dem Präsidenten der EZB. ... Doch im Prinzip arbeitet Draghi gegen den Stabilitätspakt. Der Pakt sollte die Inflation niedrig und den Euro stark halten. Draghi will aber gerade die Inflation schüren und den Euro schwächen, um den Export zu stimulieren. Dafür übernimmt die EZB sogar Staatsschulden. Inzwischen sind die Zinsen so niedrig, dass die Staaten schön dumm wären, wenn sie keine Schulden machten. Es fehlt jeglicher finanzielle Anreiz, um zu sparen. Solange die EZB diese Politik verfolgt, muss die disziplinierende Wirkung von den Politikern kommen. Die aber beweisen immer wieder, dass sie dazu nicht in der Lage sind. Somit ist der Stabilitätspakt eine Farce."
Europa gibt gegenüber Paris erneut nach
Warum die europäischen Partner Frankreich nicht mit der gleichen Härte begegnen wie den anderen Euro-Krisenländern, erklärt die liberale Tageszeitung Le Soir: "Ein wichtiges Mitgliedsland und eins im 'Herzen Europas' hat mehr Gewicht als ein kleines Land oder ein Land der 'Peripherie'. Zudem ist da noch die Bedrohung durch den Front National. Weil sie ein Aufbegehren der Straße und ein Erstarken des Front National auf jeden Fall vermeiden wollen, schieben die französischen Regierungen (Konservative wie Sozialisten) schwierige Maßnahmen ständig auf. Und ebenfalls unter dem Eindruck dieser ewigen Bedrohung geben die europäischen Partner (EU-Kommission, Deutschland …) letztlich immer nach. Da bekommt man Lust, einen Satz umzuschreiben, der Churchill zugeschrieben wird: Da Frankreich sich nicht zwischen Reformen und Front National entschieden hat, wird es schließlich weder Reformen noch Front National verhindern können. Europa hingegen hat erneut die unschöne Wahrheit bewiesen, dass es mit zweierlei Maß misst."
Politischer Druck besser als Geldstrafe
Der französische Finanzminister Michel Sapin muss der Eurogruppe im Mai neue Sparmaßnahmen und Reformen vorlegen. Liefert er dann nicht, werden seine Amtskollegen den Druck erhöhen, blickt das wirtschaftsliberale Handelsblatt voraus: "Viele Verbündete hat Sapin in Wahrheit nicht mehr in der Eurogruppe. Spanien und Portugal sind ihm davongeeilt. Sogar Italien packt überfällige Reformen mutiger an als Frankreich. ... Zwar wäre laut Stabilitätspakt die Geldstrafe spätestens jetzt zweifellos fällig gewesen. Doch in diesem Punkt ist der Pakt wirklichkeitsfremd. Es macht einfach keinen Sinn, ein finanziell angeschlagenes Land mit einer Geldstrafe noch mehr zu schwächen. ... Der Eurozone bleibt also nichts anderes übrig: Sie muss den politischen Druck auf die Regierung in Paris aufrechterhalten und noch viele mühsame Diskussionen mit dem französischen Finanzminister durchstehen."
Sinnvolle Neuinterpretation starrer Regeln
Endlich hält die EU nicht mehr starrköpfig am Sparkurs fest, freut sich nach der Entscheidung der EU-Kommission die liberale Tageszeitung La Stampa: "Das Urteil über unsere Wirtschaftspolitik bestätigt, dass sich im Euroraum etwas tut, im positiven Sinne. Statt blind an einer schematischen und kontraproduktiven Haushaltsdisziplin festzuhalten, fordert man das Land auf, sich zu erneuern. Gemäß der ursprünglichen Regeln des Fiskalpakts, die unter dem Eindruck des Terrors einer Schuldenkrise verabschiedet wurden, wäre Italien durchgefallen - und zwar mit der falschen Begründung, dass seine Sparpolitik nicht ausreiche. Dank der Neuinterpretation des Stabilitätspakts, so wie sie von Jean-Claude Juncker und seinen Kollegen während der italienischen EU-Ratspräsidentschaft ausgearbeitet wurde, werden wir versetzt - wobei man sich vorbehält, das Land auf sinnvolle Art und Weise zurechtzuweisen."