EU reagiert auf Flüchtlingssterben
Nach dem Tod von hunderten Flüchtlingen im Mittelmeer hat die EU-Kommission am Montag einen Zehn-Punkte-Plan vorgestellt. Unter anderem soll die Seenothilfe im Mittelmeer verbessert werden. Kommentatoren halten den Plan für unzureichend. Sie fordern eine durchdachte Entwicklungs- und Handelspolitik, Aufklärung potenzieller Flüchtlinge über Migrationsrisiken und die Bearbeitung von Asylanträgen in den Herkunftsländern.
Mehr Entwicklung und Handel nötig
Die Sofortmaßnahmen, die die EU-Kommission nach der Flüchtlingskatastrophe in Aussicht gestellt hat, reichen nicht und müssen durch langfristige Strategien ergänzt werden, fordert die liberale Tageszeitung La Libre Belgique: "Allein daran werden sich die Kohärenz und die Beständigkeit der europäischen Reaktion messen lassen. Die durch Krieg verwüsteten Staaten müssen befriedet und dann wiederaufgebaut werden und das erfordert entsprechende diplomatische Anstrengungen. Um die wirtschaftlichen Bedingungen der am stärksten benachteiligten Länder zu verbessern, müssen Zusagen im Bereich der Entwicklungshilfe eingehalten werden, wovon wir noch weit entfernt sind. Außerdem brauchen wir eine Handelspolitik, die die Länder nicht schwächt, denen wir angeblich helfen wollen. Die EU präsentiert sich der Welt gegenüber gerne als Vorbild in Sachen Schutz und Achtung von Werten wie Menschenwürde, Demokratie und Solidarität. Jetzt, aber auch langfristig soll sie dies auch beweisen. Worte allein reichen nicht."
Fachkräfte in Afrika anwerben
Solange Europa nicht direkt in den Herkunfts- und Transitländern ansetzt, wird es keine Lösungen für die Flüchtlingsfrage geben, meint der liberal-konservative Tagesspiegel: "Die beste Rettungsmission ist jene, mit der man die Flüchtlinge davon abhalten kann, überhaupt auf die lebensgefährliche Reise zu gehen. Etwa mit Informationskampagnen, in denen potenzielle Migranten über tödliche Risiken aufgeklärt werden. Und indem man legale Migrationswege Richtung Europa etabliert. So könnten Asylanträge, Bitten auf Familienzusammenführung oder andere Einwanderungsgründe bereits auf der anderen Seite des Mittelmeeres geltend gemacht werden. Zudem: Warum können die in Deutschland und anderswo benötigten Fachkräfte nicht - wie es derzeit mit Kampagnen in Portugal, Spanien oder Griechenland geschieht - auch in Afrika angeworben werden? Vielleicht ließe sich der Fluss der illegalen Immigranten so wenigstens verringern und manche tödliche Odyssee vermeiden."
Europas Doppelmoral ist beschämend
Papst Franziskus sagte im vergangenen Jahr, dass er sich angesichts der EU-Flüchtlingspolitik um die "Seele Europas" sorge. Er hat erkannt, wie es um Europa steht, meint die Wiener Zeitung: "Europa ist zur Autorität der Doppelmoral geworden, der Papst folgerichtig dazu degradiert, die dazugehörigen Sünden zu vergeben. Viele Bürger lesen in den Medien entsetzt über die Toten im Mittelmeer - und unterschreiben gleichzeitig Petitionen gegen Flüchtlingsheime im eigenen Ort. Diese Flüchtlinge stammen aus afrikanischen Ländern, deren Strukturen - wie in Libyen - von Europa aus zerstört wurden. Es geht dabei immer um Bodenschätze, nie um Menschen. Wir lassen Erdöl aus Libyen ins Land, doch die Menschen lassen wir ertrinken. Mit deren Elend will niemand etwas zu tun haben. Es ist kein leichter Job, den ein Papst in so einer Welt hat. Christliche Nächstenliebe? Vergiss es. Diesem Papst wird ein anderer folgen, auch er wird aufrüttelnde Worte sprechen. Wenn Europa seine Seele nicht wiederfindet, werden auch diese Worte verschwendet sein."
Eine Schande für die Eliten der arabischen Welt
Es ist zu einfach, Europa allein die Schuld für die sich häufenden Flüchtlingskatastrophen im Mittelmeer aufzuladen, bemerkt die konservative Lidové noviny: "Wer von einer Schande Europas spricht, der sollte auf einer Karte die Orte der Tragödien suchen. Die spielen sich nicht in europäischen, sondern in libyschen Gewässern ab. Ist es die Schande Europas, dass in libyschen Hoheitsgewässern tausende Menschen umkommen? Ist es nicht eher eine Schande für die Eliten der muslimischen Welt, die nicht in der Lage sind, Bedingungen zu schaffen, damit die Menschen nicht flüchten? Es ist wahr, dass die Türkei oder der Libanon eine große Zahl von Flüchtlingen aus Syrien oder dem Irak aufgenommen haben, wofür ihnen Achtung gebührt. Aber die großen Banker dieser Welt sitzen in Saudi Arabien, Katar, Kuwait oder den Emiraten. Haben die für die Flüchtlinge wenigstens so viel getan, wie sie für die Dschihadisten tun? ... Europas Schande ist eine andere: die nicht ausreichende Solidarität untereinander und die mangelnde Bereitschaft, die Südgrenze gemeinsam zu schützen."
Flüchtlingsboote mit Seeblockade aufhalten
Die Flüchtlingstragödien im Mittelmeer können nur dann wirklich verhindert werden, wenn die Migranten gehindert werden, die gefährliche Reise überhaupt anzutreten, meint die konservative Tageszeitung The Daily Telegraph: "Ein Lösungsansatz besteht darin, hart gegen die Menschenhändler vorzugehen, die sich im Grunde des Mordes schuldig machen, indem sie so viele Menschen in undichte Wracks stopfen. Doch sie operieren von Ländern wie Libyen aus, in denen Recht und Ordnung nicht mehr bestehen. Eine vernünftigere Option wäre die Seeblockade jener Häfen, von denen die meisten dieser instabilen Schiffe aufbrechen. Italiens Regierungschef Matteo Renzi hat es zweifelsohne auf den Punkt gebracht: Die am stärksten von Mitgefühl motivierte Reaktion auf diese Katastrophe wäre es, die Schiffe aufzuhalten, bevor sie das offene Meer erreichen."