Ungarn macht Grenze zu Serbien dicht
Ungarns Grenzzaun ist nach Regierungsangaben am Sonntag fertiggestellt worden. Budapest will damit Flüchtlinge fernhalten, die über Serbien kommen. Der Zaun ist nichts weiter als ein innenpolitisches Manöver von Premier Viktor Orbán, meinen einige Kommentatoren. Andere glauben, dass Ungarn sich mit seiner Abschottungspolitik vor allem selbst schadet.
Orbán schlachtet Flüchtlingskrise aus
Ungarns Regierungschef Viktor Orbán nutzt die Flüchtlingskrise, um mit Grenzzaun und neuem Gesetzespaket eine noch rechts-autoritärere Politik zu rechtfertigen, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard: "Für Orbán ist die Flüchtlingswelle durch sein Land kein soziales, polizeiliches und europäisches Problem, sondern der Kriegsfall schlechthin. 'Masseneinwanderer greifen Ungarn an' - das ist der Tenor der amtlichen Propaganda. Der Kriegsfall ruft nach dem Notstand. Orbán wird aber den 'Masseneinwanderungsnotstand' - so definiert im Gesetzespaket - nicht nur dazu nutzen, um die schutzlosen Migranten noch mehr zu quälen, sondern vor allem auch dazu, die demokratischen Rechte seiner eigenen Bürger weiter abzubauen. An dem unheimlichen Treiben Orbáns trägt auch die EU Schuld, die schon auf den bisherigen Demokratieabbau nur kleinlaut reagierte. Das Fehlen einer europäischen Flüchtlings- und Migrationspolitik gibt dem ungarischen Autokraten anscheinend freie Hand."
Abschottung ist schädlich für Ungarn
Mit der Errichtung des Grenzzauns zur Abwehr von Flüchtlingen hat sich das neurotisch selbstbezogene Ungarn weiter von der Welt abgeschottet, meint der Blogger Domonkos Sik auf dem Blogportal Szuverén: "Eine solche Einigelung ist in einer globalisierten Welt kontraproduktiv. Diese Abschottung hat zu einem verzerrten Selbstbild geführt, das sich aus historischen Ungerechtigkeiten, einem Gefühl des Opferdaseins, der Ausbeutung und des unentwegten Nachholbedarfs speist. Hinzu kommt eine Ignoranz und ein Unverständnis gegenüber der Außenwelt. Solch eine kollektive Identität manifestiert sich nicht bloß in einer gesellschaftlichen Neurose, sondern engt auch den politischen und wirtschaftlichen Bewegungsspielraum der Individuen ein: Die Politik verliert ihre Fähigkeit, dem Land Ziele zu geben, die über die materielle Reproduktion hinausreichen. Die Wirtschaft wiederum verliert ihr Innovationspotenzial."
Osteuropa muss Solidarität lernen
Dass sich osteuropäische Staaten wie Ungarn lieber verbarrikadieren als Flüchtlinge aufzunehmen, sieht die linksliberale Tageszeitung Le Monde in ihrer Geschichte begründet: "In ihrer Gewalt hat die Migrationskrise den osteuropäischen Ländern mehrere verborgene Wahrheiten enthüllt. Sie haben aus der Zeit des Nationalsozialismus und später des Stalinismus entweder eine ethnische und religiöse Einheitlichkeit geerbt, die sich stark von der Durchmischung westeuropäischer Gesellschaften unterscheidet oder ein konfliktreiches Verhältnis zu den Minderheiten, die ihnen aufgezwungen wurden. ... Das haben sie noch nicht verdaut. Durch ihren EU-Beitritt konnten sie im Namen der europäischen Solidarität hunderte Milliarden Euro aus dem Kohäsionsfonds erhalten, doch sie haben vergessen, dass Solidarität nicht nur in eine Richtung geht. Die Zeit ist gekommen zu zeigen, dass ganz Europa diese Werte teilt. Wird dieses schmerzhafte Erwachen heilsam sein? Das ist der wahre Test für Europa."