Cameron stellt Forderungen an EU
David Cameron hat am Dienstag in London Reformen vorgestellt, die er zu Bedingungen für den Verbleib Großbritanniens in der EU macht. Die Union darf sich vom britischen Premier nicht die Spielregeln diktieren lassen, meinen einige Kommentatoren. Andere sehen in dem Vorschlag einen guten Weg aus der Dauerkrise der Gemeinschaft.
Der eigenwillige Sinn für Humor der Briten
Cameron diktiert der EU die Spielregeln und lässt keinen Spielraum für Verhandlungen, meint die katholische Tageszeitung Avvenire: "Ein wahrhaftes Diktat, das Downing Street 'Flexible Union freier Mitgliedstaaten' zu nennen beliebt - der angelsächsische Humor bleibt sich eben treu. Eine sehr elegante Art und Weise, die immer größere Distanz von London dem Kontinent gegenüber zu markieren, sein unüberwindbares Misstrauen gegenüber der EU, dem Euro, den Gemeinschaftsregeln. Im Klartext sagt Cameron: lasst uns alle bereits existierenden Sonderrechte, die Rabatte und Sonderregeln im Rahmen des EU-Haushalts, und hütet euch, unseren Küsten zu nahe zu kommen. Nur so wohlgemerkt haben wir eventuell die Güte, nominal in der EU zu bleiben, pardon, in der 'FUFMS', Flexible Union of Free Member States."
Britisch Roulette für Europa
Die EU sollte sich nicht davon einlullen lassen, dass Cameron seinen Bürgern empfehlen will, gegen den Brexit zu stimmen, meint die linke Tageszeitung Pravda. Denn der Ausgang des Referendums sei auch für den britischen Premier vollkommen unplanbar: "Es ist fraglich, ob Camerons Versprechen den übrigen 27 Mitgliedsländern ausreichen wird, um den Briten Ausnahmen zu gestatten, die in einigen Punkten die grundlegenden Prinzipien des Zusammenlebens tangieren. Etwa das Recht der Europäer auf Niederlassung und Arbeit in der ganzen Union. ... Über ein Europa mehrerer Geschwindigkeiten wird bei jeder Gelegenheit geredet. Cameron aber will die auf einem Papier bestätigt bekommen. Gegenleistung dafür, dass Europa eines der grundlegenden Motive der ganzen Integration aufgibt, soll sein Vabanque-Referendum sein, dessen Ausgang von vielen unplanbaren Faktoren abhängig ist. Etwa davon, wie populär seine Regierung gerade ist oder wie Europa bis zum Zeitpunkt des Referendums die Flüchtlingskrise im Griff hat."
Beide Seiten müssen kompromissbereit sein
Die EU sollte Cameron beim Thema Niederlassungsfreiheit entgegenkommen, um den Brexit zu verhindern, fordert die wirtschaftsliberale Tageszeitung Financial Times: "Das eine Thema, dem in Europa Widerstand entgegen gebracht werden wird, ist Camerons Vorschlag, den Zugang zu sozialen Vergünstigungen für arbeitende EU-Migranten einzuschränken. Dagegen werden sich Polen und andere osteuropäische Staaten stark machen, deren Bürger Arbeitsmöglichkeiten in der gesamten EU suchen. Cameron hat klugerweise ein gewisses Maß an Flexibilität erkennen lassen, indem er erklärte, 'offen für unterschiedliche Lösungsansätze bei dem Thema' zu sein. Politische Führer der EU sollten gleichermaßen Zurückhaltung an den Tag legen. Wenn sie einen Brexit verhindern wollen, darf der britische Premier nicht den Eindruck erwecken, bei einem Thema versagt zu haben, das für britische Wähler hochproblematisch ist."
Cameron setzt auf Vielfalt der Zusammenarbeit
Die Forderungen des britischen Premiers nach Reformen der EU eröffnen neue Chancen auch für Nichtmitglieder wie die Schweiz, meint der linksliberale Tages-Anzeiger: "Camerons Vorschläge, die Einwanderung zu senken, beschränken sich auf Massnahmen gegen den sogenannten Sozialtourismus. Dahinter steht die Forderung, dass die Personenfreizügigkeit keinen Anspruch auf die Einwanderung in das Sozialsystem eines anderen Landes begründen sollte - etwas, das in vielen Hauptstädten Europas unterschrieben wird. ... Was Cameron gestern skizzierte, ist keine Horrorvision Europas. Im Gegenteil: Es ist das Bild einer EU, die mit der Logik der immer engeren Union bricht und angesichts ihrer Dauerkrise zu neuen, vielfältigen Formen der Zusammenarbeit findet. … Für Länder wie Grossbritannien wird die EU immer ein Wirtschaftsprojekt sein, für die EU-Kernstaaten auch ein ideelles Bekenntnis. Und für Länder wie die Schweiz, die nicht Mitglied werden wollen, steigt die Aussicht auf flexible Lösungen - und einen dritten Weg."