Hoffnung auf Feuerpause in Syrien
Binnen einer Woche sollen die fast fünf Jahre andauernden Kämpfe in Syrien eingestellt werden. Die Außenminister der Syrien-Kontaktgruppe einigten sich in München außerdem auf humanitäre Hilfsleistungen und die Wiederaufnahme der Genfer Friedensverhandlungen. Gibt es eine Chance auf Frieden in dem zerrütteten Land?
Stalingrad des Nahen Ostens
Der Vorschlag einer Feuerpause hat wenig Chancen, fürchtet die wirtschaftsliberale Tageszeitung Il Sole 24 Ore:
„Der Krieg in Syrien hat epochale Ausmaße erreicht. Er ist zur größten humanitären Katastrophe im Mittelmeerraum seit dem Zweiten Weltkrieg und die Schlacht um Aleppo eine Art Stalingrad des Nahen Osten geworden. … Wie viele Chancen hat da der russische Vorschlag eines Waffenstillstands? Wenige. Der türkische Präsident Erdoğan verkündete, Ankara könnte die Geduld verlieren. Die Türkei ächzt nicht nur unter dem Druck der Flüchtlinge, sondern ist sich auch darüber im Klaren, dass die Zusicherungen von EU und Nato den Fall Aleppos nicht mehr aufhalten können. Für Erdoğan, die Saudis und die Golfmonarchien, die auf das Ende von Assad und die Dschihadisten des IS gesetzt hatten, ist dies eine vernichtende Niederlage. ... Sollte Saudi-Arabien eingreifen, droht laut Russlands Premier Medwedjew ein neuer Weltkrieg.“
Westen ist in Syrien gescheitert
Die Empörung des Westens über die russischen Luftangriffe auf Aleppo ist scheinheilig, kritisiert die linksliberale Wochenzeitung Le Jeudi:
„Der Islamische Staat ist kurz davor, den Krieg zu verlieren. Doch plötzlich wird Alarm geschlagen. Plötzlich werden die Zivilisten, die aus Aleppo fliehen, in den Vordergrund gerückt. Als hätte man vergessen, wodurch das syrische Chaos ausgelöst wurde. Merkel, Erdoğan und der Westen zeigen sich empört, und zwar weil sie sich bewusst werden, dass der russische Einsatz eine erste wirkliche Wende in dem Krieg darstellt - mit der sie die Kontrolle verloren haben. Noch dazu offenbart diese Wende das Scheitern der westlichen Haltung, die ausschließlich auf das Ende des Regimes gesetzt hat und deshalb weitestgehend für die Verschärfung des Kriegs verantwortlich ist. Und daher auch für die menschliche Tragödie, die dadurch verursacht wurde.“
Aleppo wird ein zweites Sarajevo
Durch sein langes Zögern hat sich Washington in Syrien in eine Sackgasse manövriert, klagt der linksliberale Guardian:
„Die Handlungsmöglichkeiten der USA wurden durch Russlands Militärintervention in Syrien stark beschnitten. Jegliche Überlegungen hinsichtlich einer durch den Westen geschützten Flugverbotszone in Nordsyrien, in der Zivilisten und Rebellen Zuflucht finden könnten, sind obsolet geworden. Zu einem früheren Zeitpunkt hätten sie einen Sinn gehabt. Jetzt würde ein Flugverbot das Risiko einer militärischen Konfrontation mit Russland in sich bergen - und das kann die Obama-Regierung verständlicherweise nicht eingehen. Was sich in Aleppo abspielt, wird möglicherweise bald an Sarajevo in den 1990ern erinnern - nur dass dieses Mal keine Besserung in Sicht ist und es größere Konsequenzen in Bezug auf Flüchtlinge geben wird, auch für Europa. Wenn es ein Symbol für das Versagen des Westens in Syrien gibt, dann dieses.“
Keiner stoppt Assad und Putin
Das Assad-Regime und Russland schaffen in Syrien neue Realitäten und Europa und die USA haben darauf keine Antwort, klagt die linksliberale Tageszeitung De Morgen:
„Lange wird es nicht mehr dauern, bevor Putin im Tausch für etwas weniger Chaos und syrische Flüchtlinge die Aufhebung der Sanktionen gegen Russland fordern wird. Und Europas Ambitionen in diesem Spiel? Sind minimal. ... Europa und die USA geben sich mit einer zweitrangigen Rolle zufrieden und konzentrieren sich vor allem auf das Ausschalten des IS im Irak, in Syrien und Libyen. Obama und Hollande lassen uns glauben, dass der Islamische Staat der große Böse in der Region ist und schweigen über die massiven Zerstörungen durch die Regierungsarmee von Assad. Kurz: Assad und Putin überrollen die syrische Opposition, wir bombardieren den IS. Und was wird aus der Sehnsucht der Syrer nach mehr Freiheit, Demokratie und Anstand?“
Geteiltes Berlin als Modell für Syrien
Am Ende des Syrienkriegs steht die Teilung des Landes, glaubt die liberal-islamische Tageszeitung Today's Zaman:
„Angesichts der russischen Intervention in Syrien und der Erinnerung an die Erfahrungen im Irak und in Libyen, die sich nicht wiederholen dürfen, ist es nun viel zu spät für die Nato und die USA zu handeln. ... Die Idee einer Flugverbotszone ist nobel und die Nato muss ihre Rolle ausweiten, doch die sollte strikt humanitär sein. ... Die Beendigung des menschlichen Leids muss oberste Priorität haben. Die Teilung Syriens ist unvermeidlich. Das Schicksal des Landes muss nach einer Übergangsperiode von einem 'gemeinsamen Protektorat der USA und Russland' bestimmt werden (das Assad als Option ausschließt) - ein erweitertes Modell von Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg.“
Rebellen bieten noch keine Alternative zu Assad
Die syrischen Rebellen werden keine Hilfe aus den USA erhalten, meint das wirtschaftsliberale Handelsblatt:
„Anders als Assads Alliierte sind die Verbündeten der Rebellen nicht bereit, direkt in den Krieg einzugreifen - jedenfalls nicht ohne den Rückhalt der Amerikaner. Die Unterstützung der USA für die Rebellen war von Anfang an halbherzig. De facto haben sich Washington und Moskau nun auf eine Arbeitsteilung verständigt. US-Kampfjets bombardieren im Osten des Landes die Terrorkrieger des Islamischen Staats, die Russen konzentrieren ihr Feuer auf den Westen und den Norden. Wer dies als amerikanischen Verrat an syrischen Freiheitskämpfern wertet, übersieht, dass es den Rebellen nicht gelungen ist, in den von ihnen kontrollierten Gebieten eine attraktive Alternative zum Assad-Regime aufzubauen. Stattdessen herrscht dort - und nicht nur im IS-Kalifat - der Tugendterror der Islamisten.“
Bomben auf Aleppo haben für Putin nur Vorteile
Warum die russischen Angriffe auf Aleppo Russland nur zum Vorteil gereichen, analysiert die Tageszeitung Aftonbladet:
„Putin erklärt, dass er den IS bombardiert, aber es sind die Einwohner Aleppos, die getötet werden. Er weiß, was er tut. Er will die syrische Opposition vernichten. Putin weiß genau, welche Probleme die Flüchtlingsströme in Europa schaffen, und plant, wieder im Nahen Osten präsent zu sein. Er will wieder die Kontrolle über Syrien übernehmen. Davon, dass die rechtsextremen Parteien in Europa Zulauf bekommen, profitiert Putin. … Russland kann zwar nicht für den Bürgerkrieg in Syrien verantwortlich gemacht werden, doch Putin nutzt ihn aus und er hat keine Probleme damit, zu bombardieren, wenn dies Russland zum Vorteil gereicht. Im Bürgerkrieg in Syrien steht eine Wende bevor: Durch die russischen Kampfflugzeuge und Panzer dürfte das Assad-Regime in Kürze Aleppo eingekesselt haben.“
Friedensgespräche zu diesem Zeitpunkt sinnlos
Eine Fortsetzung der Friedensgespräche ist sinnlos, solange syrische Truppen mit der Hilfe Russlands Zivilisten in Aleppo bombardieren, meint der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Wenn sich nun also am Donnerstag in München die Aussenminister im Wiener Format treffen, muss es darum gehen, dass der Kreml Garantien gibt, die Angriffe auf zivile Gebiete zu stoppen, und seinen Protegé Assad zwingt, die Belagerungsringe für humanitäre Hilfe zu öffnen. Eine Rückkehr an den Verhandlungstisch von Genf ist sonst sinnlos. Kerry hat auch gesagt, man werde bald wissen, ob Moskau an ernsthaften Friedensgesprächen interessiert sei oder nicht. Einstweilen behält er noch für sich, was Washington zu tun gedenkt, wenn die Antwort Nein lautet.“
Nur Obama kann Putin in Syrien stoppen
Durch die Offensive syrischer Regierungstruppen mit Unterstützung russischer Luftangriffe droht bei Aleppo eine humanitäre Katastrophe. Die USA müssen jetzt eingreifen, fordert die linksliberale Tageszeitung De Volkskrant:
„Wer kann Russland und den Iran davon abhalten, eine humanitäre und geopolitische Hölle in Syrien zu schaffen, in der nur Assad und der IS übrig bleiben? Nur die Amerikaner. Die USA und Russland hatten in Syrien einen Waffenstillstand vereinbart, der den Beginn eines diplomatischen Prozesses in Genf markieren sollte. Während die USA ihre Verbündeten drängten, die Unterstützung der Anti-Assad-Kämpfer zu drosseln, schaltete die Gegenpartei einen Gang höher. ... Im Kampf um Aleppo muss Obama jetzt eine rote Linie ziehen. Wenn er sich dort nach der Ukraine erneut vor vollendete Tatsachen stellen lässt, dann droht diese Stadt auch der Friedhof seiner Außenpolitik zu werden.“
Moskau will syrische Opposition verdrängen
Russlands Unterstützung des Assad-Regimes im Kampf um Aleppo hat eigentlich nur ein Ziel, meint die liberale Tageszeitung Eesti Päevaleht:
„Der Angriff wird die Beziehungen zwischen dem Westen und Russland, das sich in die Geschehnisse in Syrien mit Luftangriffen kräftig eingemischt hat, entscheidend beeinflussen. Falls die Gegner von Assad, die die Stadt seit 2012 kontrollieren, geschlagen werden, bleibt im Syrien-Konflikt niemand mehr übrig außer dem Assad Regime und ISIS. Jede Hoffnung auf eine Lösung durch Verhandlungen, an denen auch die syrische Opposition teilnimmt, wird dann schwinden. Und genau das ist das Ziel Russlands. Das ist der eigentliche Grund, warum Russland sich vor vier Monaten militärisch eingemischt hat. “