Polen haben das politische Spiel durchschaut
Trotz der jüngsten Kontroverse um seine Vergangenheit halten 64 Prozent der Polen Lech Wałęsa weiterhin für einen Nationalhelden. Das ergibt eine Umfrage, die die konservative Tageszeitung Rzeczpospolita organisiert hat - und über deren Ergebnis sie sich freut:
„Dies belegt, dass die Bürger des demokratischen Polen sehr vernünftig sind. … Die Polen haben das politische Spiel, das um den polnischen Nobelpreisträger getrieben wird, richtig analysiert. Und sie wollen sich da nicht hineinziehen lassen. ... Das Resultat unserer Umfrage ist eine schlechte Nachricht für die amtierende Regierung. Die Opposition hat hingegen echten Scharfsinn bewiesen, indem sie sich die Verteidigung Wałęsas auf ihre Fahnen geschrieben hat. Denn schließlich ist der Ex-Präsident für alle ein wichtiges Symbol. Wenn die PiS aber weiter zulässt, dass der erste Chef der Solidarność zur politischen Zielscheibe wird, dürfte sie noch ganz viel verlieren.“
Wałęsa wird von Kaczyński beschmutzt
Die neuerlichen Spitzelvorwürfe gegen Wałęsa gingen von PiS-Chef Jarosław Kaczyński und der national-konservativen Rechten in Polen aus, mutmaßt die linksliberalen Tageszeitung Népszabadság:
„Seit rund zwanzig Jahren sieht die national-konservative Rechte um Jarosław Kaczyński in Friedensnobelpreisträger Wałęsa ein Feindbild. ... Die Kaczyński-Zwillinge hatten anfangs versucht, Wałęsa als Steigbügelhalter zur Erlangung der Macht zu missbrauchen. Sie überwarfen sich mit ihm, als sie merkten, dass er sich nicht als Marionette für sie hergibt. Seitdem ist er der Buhmann der polnischen Rechten. ... Wałęsa ist eigenwillig, aber ein Demokrat. Die polnische Rechte indes ist ganz und gar nicht demokratisch gesinnt. Sie arbeitet daran, den über Jahrzehnte erlangten guten Ruf des Landes zu beschmutzen. Und dazu braucht sie ein Symbol: Wałęsa.“
Eine Lüge würde man Wałęsa nicht verzeihen
Sollte Lech Wałęsa wirklich für die Staatssicherheit gearbeitet haben, sollte er es jetzt zugeben, rät die liberale Tageszeitung Dennik N:
„Das polnische Institut für Nationales Gedenken genießt nicht den besten Ruf. In den Händen der wieder regierenden National-Ultrakonservativen hat es zu oft im politischen Auftrag Kritiker angeschwärzt. ... Und Wałęsa gehört zu den Kritikern der derzeitigen Regierung. Andererseits ist es gut möglich, dass er vor dem Entstehen von Solidarność einige Jahre Agent war. Die Beschuldigung ist nicht neu und Wałęsas Dementi in der Vergangenheit war nicht überzeugend. ... Eine Stasi-Mitarbeit würde ganz sicher nicht seine Verdienste beim Fall der kommunistischen Diktatur schmälern. Selbst wenn sich zeigen sollte, dass ihm das eigene schlechte Gewissen Motiv war, für die Demokratie zu kämpfen, hat er genug getan, um den alten Fehler zu revidieren. ... Man könnte ihm den Agenten verzeihen. Nicht aber eine Lüge.“
Ex-Solidarność-Führer bleibt ein Denkmal
Unabhängig davon, ob Wałęsa für die Staatssicherheit gearbeitet hat oder nicht: Der Ex-Solidarność-Führer Lech bleibt ein Volksheld, meint der Journalist und Autor Jacek Żakowski in einem Gastbeitrag für die liberale Tageszeitung Gazeta Wyborcza:
„Das hysterische Geschrei eines Teils der polnischen Medien wundert mich zwar nicht. ... Doch ist das ironische Grinsen vieler hoher Beamte sowie ihr dümmliches Gerede schon bedrohlich. Dazu zählen der amtierende Präsident, der Vizepremier sowie der Außenminister. Damit zeigen sie nur, dass sie generell nicht in der Lage sind, angemessene und rationale Bewertungen abzugeben. Und das ist gerade das, was in der Politik immer am bedrohlichsten ist. Dort spielt Wałęsa jetzt zwar keine wesentliche Rolle mehr. Doch wird er noch über Generationen hinweg für die Kinder ein Held und Symbol für die Wiedererlangung der Freiheit bleiben, von dem sie lernen können - ob das nun allen gefällt oder nicht.“
Wałęsa muss endlich reinen Tisch machen
Lech Wałęsa muss endlich zu seiner dubiosen Vergangenheit stehen, fordert das katholische Nachrichtenmagazin Gość Niedzielny:
„Er hat die letzte Chance, endlich mutig dazu zu stehen, was er bisher entschieden verneint hat. Dabei hat er seinen Widersachern schon mit rechtlichen Schritten gedroht, sie ausgelacht und auch beleidigt. Dadurch verbreitete er nicht nur eine Lüge über sich selbst, sondern auch über die jüngste Geschichte Polens. Wenn der ehemalige Vorsitzende der Solidarność und Präsident des demokratischen Polen nur einen Funken Anstand hätte, dann würde er offen über seine ganzen Verwicklungen mit dem Sicherheitsdienst sprechen. Und er muss insbesondere darüber reden, welche Folgen diese Kontakte für den Streik im August 1980, für die Verhängung des Kriegsrechts sowie für die Gespräche am Runden Tisch hatten. Wichtig ist auch, ob seine Vergangenheit damit zu tun hatte, dass er später das höchste Amt im Staat übernahm.“
Umdeutung der Geschichte wäre gefährlich
Das Gefährliche an den Spitzelvorwürfen ist, dass die PiS von Jarosław Kaczyński diese sehr gut zu instrumentalisieren weiß, bemerkt der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Gelingt es den rechtspopulistischen Scharfmachern, Wałęsa und vor allem den runden Tisch von 1989 zu diskreditieren, dann wird es das Polen, das wir seither kennen und schätzen gelernt haben, nicht mehr lange geben. Dann wird Jarosław Kaczyński die Vierte Republik, von deren Gründung er von jeher träumt, doch noch durchsetzen - ob formell oder informell. Mit der historischen Wirklichkeit hätte das allerdings nichts mehr zu tun, denn bei aller Bedeutung des teuflischen Superhelden Wałęsa: Sein Einfluss auf die Entwicklung nach 1989 war eng begrenzt. Die Seilschaften, die Kaczyński allerorten in Polen wittert, sind eine Fantasie der PiS-Vorsitzenden.“