Umstrittener Deal bringt Irland neue Regierung
In Irland hat sich eine Minderheitsregierung unter Führung der konservativen Partei Fine Gael des bisherigen Premiers Enda Kenny gebildet, die von der nationalliberalen Partei Fianna Fáil geduldet wird. Voraussetzung für die historische Einigung war die Abschaffung der umstrittenen Wassergebühren. Kommentatoren kritisieren den Deal.
Wir brauchen eine mutige Regierung
Dass die neue irische Minderheitsregierung die Wassergebühren nach nur zwei Jahren wieder abschafft, lässt nichts Gutes erwarten, meint The Irish Independent:
„Wer glaubt, dass es keinen Zusammenhang gibt zwischen unserem Wasserverbrauch - dem höchsten pro Kopf in der EU - und der Tatsache, dass wir als einzige nicht auf Grundlage unseres Eigenverbrauchs zur Kasse gebeten werden, muss hinter dem Mond leben. ... Wenn das neu gewählte Parlament eine Regierung hervorbringt, die nicht fähig oder willens ist, schwierige aber notwendige Entscheidungen zu treffen, wird sich die Qualität unserer staatlichen Führung, die schon immer bestenfalls mittelmäßig war, weiter verschlechtern. Wenn wir gegenüber jeder Interessensgruppe und politischen Positionierung in allen Fragen nachgeben und immer nur den kleinsten gemeinsamen Nenner erreichen wollen, werden wir bald unregierbar sein.“
Kenny verrät für Machterhalt seine Prinzipien
Um die Unterstützung für eine von seiner Fine-Gael-Partei geführte Minderheitsregierung mit Fianna Fáil zu erhalten, hat Irlands Premier Kenny der Abschaffung der von seiner früheren Regierung eingeführten umstrittenen Wassergebühren prinzipiell zugestimmt. Das empört den Irish Independent:
„In seinem Bemühen, der erste Fine-Gael-Chef zu werden, der es schafft nach einer Wahl Regierungschef zu bleiben, hat Kenny eine unsaubere Vereinbarung akzeptiert. Er hat bei den Wassergebühren kapituliert, die nun vermutlich für viele Jahre abgeschafft bleiben werden. Der Kompromiss wird wohl als vorübergehende Aussetzung verkauft werden, je nachdem, was nach langwierigen Beratungen herauskommt. Doch die traurige Wahrheit ist, dass Kenny alles zu tun bereit ist, um an der Macht zu bleiben. Dazu zählt der Verrat an den Grundprinzipien seiner Partei und an jenen, die sich an das Gesetz hielten, indem sie ihre Rechnungen bezahlten. Er wird als Regierungschef wiederkehren, aber seine Tage im Amt sind gezählt.“
Irland kann sich Zankereien nicht mehr leisten
Die seit Jahrzehnten verfeindeten irischen Volksparteien Fine Gael und Fianna Fáil sollten endlich aufeinander zugehen und eine große Koalition bilden, fordert die liberale Tageszeitung Irish Examiner:
„Wir alle müssen unter Umständen arbeiten, die wir als nicht ideal empfinden, die im Konflikt mit unseren alten Wertvorstellungen stehen und mit denen wir uns aus unserer Komfortzone entfernen. Es ist höchste Zeit, dass diese beiden Parteien anerkennen, dass sie sich in genau dieser Situation befinden und sich mit ihrer Aufgabe abfinden, dieses Land umzugestalten. ... Dieses ist ein kleines und - ob es uns gefällt oder nicht - abhängiges Land in einer immer weiter auseinanderbrechenden und instabilen Welt. Wir können uns die kindischen Spiele von früher nicht mehr leisten. Wir brauchen sehr schnell eine starke und einige Regierung. Jeder Politiker, der das nicht sehen und akzeptieren kann, hat den Beruf verfehlt.“
Iren bestätigen Europas Instabilität
Die Wahl in Irland hat gezeigt, dass die Iren genau wie andere Europäer das politische System infrage stellen, meint die konservative Wirtschaftszeitung Naftemporiki:
„Dem Beispiel der Portugiesen, der Spanier und so vieler anderer Europäer folgend weigerten sich die Iren, die Mehrheit an eine Partei zu geben und stärkten unabhängige, 'antisystemische' und populistische Kräfte. Die Iren bestätigen, dass politische Instabilität im heutigen Europa die neue Konstante bildet. ... In einem Europa das verlegen vor mehreren Krisen steht, ohne Plan und Kompass, in einem Europa das zulässt, dass Risse sich ständig vertiefen, sollte kein politisches Erdbeben uns überraschen.“
Mit großer Koalition würde Kriegsbeil begraben
Der Wahlausgang in Irland legt eine große Koalition zwischen den ehemals verfeindeten Bürgerkriegsparteien Fine Gael und Fianna Fáil nahe. Dies wäre nach Ansicht des konservativen Irish Independent eine echte Chance:
„Offensichtlich möchte ein beachtlicher Teil der Bevölkerung echten Wandel und nicht eine oberflächliche Veränderung bei der eine dominante Mitte-rechts-Partei durch die nächste ersetzt wird. Das Wahlergebnis vom Freitag bringt eine historische Koalition zwischen Fine Gael und Fianna Fáil greifbar nahe, die ein für allemal der Sargnagel für die Lüge wäre, dass es Hindernisse für eine solche Machtteilung gäbe. Die Mitglieder beider Parteien mögen sich nicht leiden können, aber das hat mehr mit Geschichte und Persönlichkeiten zu tun, als mit den jeweiligen politischen Standpunkten. ... Das hundertjährige Jubiläum des Osteraufstands von 1916 scheint ein angemessener Zeitpunkt, um die Bürgerkriegspolitik zur Vergangenheit zu erklären.“
Iren haben Regierung für ihr Leiden abgestraft
Die Mitte-links-Koalition von Premier Enda Kenny bekam die Rechnung dafür, dass die Bürger für eine Krise zahlen mussten, an der sie nicht schuld waren, analysiert die linksliberale Tageszeitung The Guardian:
„Auch Jahre nach Beginn des ökonomischen Aufschwungs, befanden sich die Lebensstandards weiter im Sinken. Während Demonstranten gegen strenge neue Wassergebühren kurzzeitig eingesperrt wurden, befinden sich die Bankmanager, die Irland in den Sumpf geführt haben, weiter auf freiem Fuß. Die Löhne bleiben unsicher. Die Leistungen der öffentlichen Verwaltung, die in Irland immer schon lückenhafter waren als in Großbritannien, sind unzulänglicher geworden. Die Rechnung für die Krise wurde den Bürgern präsentiert, die dafür nichts konnten. Und jetzt kochen die Menschen zu Recht vor Wut. ... Irlands Regenten haben gelernt, dass, wenn sie lange genug über ein Leiden walten, die Menschen sie selbst leiden lassen.“
Keine Angst vor der Minderheitsregierung
Eine Minderheitsregierung in Irland wäre kein Horrorszenario, meint die linksliberale Tageszeitung The Irish Times:
„Weil sich eine Minderheitsregierung nicht auf die Unterstützung einer loyalen Mehrheit verlassen kann, strengt sie sich beim Regieren mehr an. Sie muss bereit sein, Kompromisse einzugehen, ist weniger abgehoben und hinterfragt die eigene Position. ... In einem Parlament, in dem die Regierung keine sichere Mehrheit hat, beginnen die einzelnen Ausschüsse wirklich zu arbeiten. Die Gesetzgebung wird produktiver, die Regierung kann eine Debatte nicht einfach aus parteipolitischen Gründen abwürgen. Das Parlament ist nicht länger nur ein Schmuckstück im politischen Entscheidungsprozess.“