EU einig über Flüchtlingsdeal
Die 28 EU-Staaten haben sich auf einen gemeinsamen Standpunkt zur Flüchtlingspolitik geeinigt, über den sie nun mit der Türkei verhandeln wollen. Der geplante Deal mit Ankara bereitet vielen Kommentatoren noch immer Bauchschmerzen, da sie ihn für unmoralisch halten. Andere sehen keine Alternative, um Schleppern das Handwerk zu legen und legale Fluchtwege zu schaffen.
Deal mit Türkei wäre das geringste Übel
Die Türkei als Partner - das ist ohne Alternative, meint die linksliberale Süddeutsche Zeitung:
„Ein Deal mit der Türkei ist also unter allen schlechten Optionen die beste, weil er hoffentlich das Schlepperwesen eindämmt, den Flüchtlingen Schutz und Berechenbarkeit gibt, Europa nicht aus seiner humanitären Pflicht entlässt, aber gleichzeitig der Hysterie- und Weltuntergangsfraktion die Panik nimmt, die inzwischen zur Währung in einem schmutzigen politischen Geschäft geworden ist. Sauber ist der Deal deshalb noch lange nicht. ... Die Interessen der Türkei sind: internationale Anerkennung, Einfluss auf und Zugang zur EU und Unterstützung von außen. Das Land hat kein Interesse, als Marktplatz für den globalen Menschenhandel zu gelten. Und gut wäre es, wenn die Touristen eines Tages zurückkämen. Europa ist also kein Bittsteller.“
Schleppernetzwerke endlich zerstören
Der Präsident und der Leiter des Institut Jacques Delors, António Vitorino und Yves Bertoncini, mahnen die EU im linksliberalen Wochenmagazin L'Obs zu einer wirksamen Bekämpfung der Schlepperbanden durch das Abkommen mit der Türkei:
„Der EU-Gipfel am 7. März hat Donald Tusk aufgefordert, das geplante Abkommen so zu gestalten, dass es europäisches und internationales Recht wahrt. Das ist jedoch gar nicht so einfach. … Sollte dies gelingen, kann man sich freuen, die Flüchtlinge den Händen der Schlepper entrissen zu haben, indem man ihnen direkt in Syrien hilft und ihre Reise nach Europa organisiert. Dies setzt jedoch voraus, dass die 'Rücknahme' [von Flüchtlingen durch die Türkei] tatsächlich und schnell durchgeführt wird. Andernfalls verliert das Abkommen seine humanitäre Dimension. ... Eine weitere Voraussetzung ist, dass die Schleppernetze tatsächlich zerstört und an einer Verlagerung in andere Länder gehindert werden. Werden diese zwei Bedingungen nicht erfüllt, ist die Einigung mit der Türkei nur eine Luftnummer.“
Unmoralischer Handel mit Menschenleben
Der geplante EU-Türkei-Deal verstößt sowohl gegen die Genfer Flüchtlingskonvention als auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention, kritisiert das liberale Internetportal T24:
„Beide Konventionen verbieten das Abschieben ganzer Gruppen, egal wie sicher das Land ist, in das abgeschoben wird. Die hässliche Seite dieser Verhandlungen ist, dass sie sich um Menschenleben drehen, vor allem um das Leben von Menschen, die vor Kriegen fliehen. Man muss auch die Antwort der Türkei diskutieren, welche diese auf das unmoralische Angebot der EU gegeben hat.“
Ankara wird Flüchtlinge nicht aufhalten
Das Abkommen mit der Türkei, das Flüchtlinge von Europa abhalten soll, könnte genau das Gegenteil bewirken, warnt die konservative Tageszeitung Die Presse:
„Die Versuchung, die Flüchtlinge, die sich jetzt in der Türkei aufhalten - die vom Krieg Entwurzelten ebenso wie die nach einem besseren Leben in Europa Strebenden - einfach einzubürgern und mit den türkischen Pässen auszustatten, die ihnen dann zustehen, nebst dem freundlichen Rat, davon auch Gebrauch zu machen, ist zu groß, um ihr nicht nachzugeben. Falls der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdoğan, nicht längst an eine solche Lösung der Flüchtlingsfrage auf Kosten der europäischen Gimpel denkt. ... Die Schwarzarbeit würde ins Kraut schießen, der Fremdenhass zunehmen, das Elend der Zuwanderer und deren Ansprechbarkeit für Hassprediger und radikale Parolen aber auch. Und Erdoğan würde sich ins Fäustchen lachen, während die Rechtsparteien nach der Macht greifen. Ihm gefiele das, was dann aus Europa würde, sehr wohl.“
EU macht Türkei unhaltbare Versprechungen
Das geplante Abkommen ist insbesondere in der Frage der Visafreiheit für Türken nicht umsetzbar und wird daher die Glaubwürdigkeit der EU weiter schwächen, kritisiert die konservative Tageszeitung The Daily Telegraph:
„Um Visafreiheit zu erlangen, muss die Türkei 72 von der EU vorgegebene Bedingungen erfüllen. Rund die Hälfte davon ist bisher nicht erfüllt worden, und Frankreich sowie Spanien im Speziellen haben klar gemacht, dass sie in diesem Punkt hart bleiben wollen. Daher gibt es keine Aussicht auf baldiges Reisen ohne Visum für 75 Millionen Türken. Dennoch scheinen Europas politische Führer bereit zu sein, ein entsprechendes Versprechen zu unterzeichnen, obwohl sie genau wissen, dass dieses bedeutungslos ist - genauso wie das 'Abkommen' zur Verteilung von 160.000 Flüchtlingen in ganz Europa. Nichts untergräbt Glaubwürdigkeit und Autorität bei Eltern, Lehrern oder der EU und Angela Merkel so sehr wie vorsätzliche und bewusste Bedeutungslosigkeit.“
Kanzlerin wird sich wie immer durchsetzen
Beim EU-Gipfel zur Flüchtlingskrise wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel trotz aller Kritik an ihrer Position durchsetzen, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Irgendwie gelang es ihr doch immer wieder, diesen verrückten Haufen von 28 EU-Staaten mit so widersprüchlichen Interessen zusammenzuhalten. ... Beim jüngsten EU-Türkei-Gipfel zur Flüchtlingskrise scheint die Kanzlerin in aussichtsloser Position. Sie umschmeichelt die Türkei trotz der Grundrechtsverletzungen. Im Gegenzug liegt sie mit fast allen Partnern im Clinch, weil sie öffentlich nicht sagen will, dass es mit dem unbegrenzten Zuzug von Flüchtlingen auch nach Deutschland vorbei ist. Die EU und ihre Staaten treffen alle Maßnahmen, um die Union abzuriegeln. Merkel genießt und schweigt.“
Es wird keinen Deal geben
Der Deal wird nicht zustande kommen, da die Europäer der Türkei nicht vertrauen können, ist sich die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore sicher:
„Europa, seine öffentliche Meinung und das Europaparlament, scheinen nicht bereit, den Preis der Kapitulation, über Regeln und Prinzipien hinwegsehen zu müssen, zu bezahlen. Das paradoxe Resultat dieses europäischen Rückziehers könnte eine Übereinkunft der 28 auf dem Gipfel sein. Die Reihen könnten sich schließen, um Ankara einen korrigierten Deal vorzulegen, dem die türkische Ablehnung auf dem Fuße folgen würde. ... Die Alternative wäre, um aus der Ecke herauszukommen ohne das Gesicht zu verlieren, eine gemeinschaftliche Erklärung zu unterzeichnen, die eine Kooperation vorsieht, von der man schon vorher weiß, dass sie nicht funktionieren wird oder nur schlecht und unzureichend umgesetzt werden kann.“
Bessere Lösung ist bisher nicht in Sicht
Auf eine gemeinsame Lösung mit der Türkei hofft die liberale Tageszeitung Eesti Päevaleht:
„Für Estland ist es eher nützlich, wenn die Vereinbarung mit der Türkei ein Erfolg ist. Denn die Wiederherstellung der Binnengrenzen, die beim Misslingen des Türkei-Plans zu befürchten wäre, wäre keineswegs gut für uns. Klar ist es ein riskanter Deal mit vielen Mängeln, aber eine bessere Lösung der Krise ist zurzeit nicht in Sicht. Für uns werden die Risiken dadurch kleiner, dass die meisten Flüchtlinge ohnehin Deutschland als Zielland vor Augen haben. ... Die EU muss eine überzeugende Botschaft vermitteln: ohne offizielle Erlaubnis hat es keinen Sinn, nach Europa zu kommen - man wird abgeschoben.“
Merkels moralischer Imperativ nervt alle
Bundeskanzlerin Merkel hat am Mittwoch in ihrer Regierungserklärung an Europas Ehre appelliert, eine gemeinsame Lösung in der Flüchtlingskrise zu finden. Ihr fehlt es jedoch an Überzeugungskraft, meint die konservative Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Selbst wenn die bisherigen Aufnahmeverweigerer nach Merkels Versuch, sie bei der Ehre zu packen, Besserung geloben sollten, wären noch nicht alle Probleme gelöst. ... Die entscheidende Frage, da hat Merkel recht, lautet daher: Wie kann es gelingen, die Zahl der Flüchtlinge nicht nur für einige, sondern für alle Länder zu reduzieren? Darüber besteht nach wie vor keine Einigkeit in der EU. Noch immer leidet die Überzeugungskraft darunter, dass die Kanzlerin zu Beginn der Krise als Mutter Teresa der Flüchtlinge auftrat. Sosehr die Sorge um Ehre und Humanität der EU Merkel zur Ehre gereicht: Ihre Standpauke frischt auch die Erinnerung ihrer Partner an den moralischen Imperativ aus Deutschland auf.“
Türkei-Kritiker wollen einfach kein Abkommen
Die europäische Kritik über mangelnde Demokratie in der Türkei ist nichts weiter als ein Scheinargument derjenigen, die den Flüchtlingsdeal ohnehin nicht wollen, findet die liberale englischsprachige Tageszeitung Hürriyet Daily News:
„Die Moral des Abkommens wird in Frage gestellt. Wie ist es möglich, dass die EU ein Abkommen mit einer autoritären Regierung trifft, fragen Viele. Wie können europäische Führer demokratische Rückschritte in der Türkei ignorieren, mit dem Preis, dafür ihre eigenen Werte zu verletzen, sagen sie. Aber dieser Zug ist doch schon längst abgefahren. All diese Meinungsführer haben lange Zeit die demokratischen Rückschritte in der Türkei ignoriert. Der einzige Grund, warum sie sich jetzt der autoritären Politik der AKP entsinnen, ist der, dass sie den Deal schlicht nicht mögen. Und abgesehen von einigen wenigen Ausnahmen zielen sie auf die Türkei, anstatt alternative Vorschläge zu machen.“
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