Wie kann Libyen befriedet werden?
Auf der Libyen-Konferenz in Wien haben mehr als 20 Staaten zugesagt, die neue Regierung der nationalen Einheit in Libyen auszubilden und zu bewaffnen. Für den Kampf gegen die IS-Terrormiliz soll das UN-Waffenembargo gelockert werden. Doch gelöst sind die Probleme des Landes noch lange nicht, warnen Kommentatoren.
Kommandeure und Stammesführer einbinden
Etwas bewirken werden die Beschlüsse der Wiener Konferenz wohl kaum, kritisiert die taz:
„Die Hoffnung, dass die Libyer vereint gegen die Extremisten vorgehen werden, ist naiv - zumal dann, wenn Europa offen Partei für eine Seite ergreift, die zu allem Überfluss keinerlei Interesse am Aufbau einer neutralen Armee und Polizei hat. ... Anders als die Diplomaten sehen die Konfliktparteien den IS nicht als ihren Hauptfeind, sondern eine Chance, die Gegenseite auf Distanz zu halten. Dem IS werden sie sich deshalb wohl erst dann entgegenstellen, wenn es zu spät ist. Wenn der Friedensprozess überhaupt eine Chance haben soll, dann müssen die noch funktionierenden Armee- und Stammes-Strukturen endlich einbezogen werden. ... Als Vorbedingung für jegliche militärische Hilfe des Westens müssten außerdem die Kommandeure beider Seiten - und nicht die machtlosen Politiker - an den Verhandlungstisch geholt werden.“
Libyer nicht wieder im Stich lassen
Der Westen darf nicht den gleichen Fehler wie nach der Militärintervention 2011 zum Sturz Gaddafis machen und das Land sich selbst überlassen, mahnt The Evening Standard:
„Wenn es ein Land gibt, in dem der Arabische Frühling eine Erfolgsgeschichte hätte werden sollen, dann ist das Libyen. Die Bevölkerung ist verhältnismäßig klein, es gibt eine Tradition der religiösen Mäßigung und keine konfessionellen Spannungen und das Land hat großzügige Energie-Ressourcen. So hatte und hat Libyen noch immer das Potenzial, ein mediterranes Dubai zu werden. Die internationale Gemeinschaft darf das Land nun in einer Zeit, in der es Hilfe dringender braucht denn je, nicht wieder im Stich lassen, so wie das nach 2011 der Fall war. Außerdem müssen libysche Politiker die Kunst des Kompromisse-Schmiedens lernen. Das unheilvollste Vermächtnis des Gaddafi-Regimes ist der Zusammenbruch der nationalen Einheit.“
USA und EU in der Zwickmühle
Die Weltgemeinschaft steht in Libyen vor einem altbekannten Dilemma, erklärt Der Standard:
„Nach dem Sturz Muammar al-Gaddafis zog sich die internationale Gemeinschaft relativ rasch zurück, um klarzumachen, dass das Management des politischen Übergangs eine rein libysche Angelegenheit ist. Die desaströsen Ergebnisse sind bekannt. ... Heute ist die Ausgangslage sehr ähnlich: Die neue, von der Uno vermittelte Regierung muss jeden Eindruck vermeiden, dass sie als Trojanisches Pferd für eine ausländische Intervention dient. Ohne eine zumindest indirekte Intervention von außen wird jedoch der 'Islamische Staat' (IS) nicht zurückgedrängt werden können. Damit nicht genug: USA und EU drohen, um die Regierung zu stärken, jenen libyschen Akteuren, die sie nicht anerkennen, mit Bestrafung. Die erfreuen sich jedoch noch immer teilweise einer starken Legitimität: wie General Khalifa Haftar, der sich dem IS in den Weg stellt. Wie weit kann man ihn schwächen, ohne den IS zu stärken?“
Stellvertreterkrieg wie in Syrien
Das eigentliche Problem Libyens ist der Machtkampf zwischen Regierungschef Fayez al-Serraj und General Chalifa Haftar und der dazugehörige Stellvertreterkrieg, warnt die Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore:
„General Haftar, der Tripolis boykottiert, erhält offene Unterstützung von Ägypten, Frankreich und den Vereinigten Arabischen Emiraten. So wie die anderen Fraktionen in Tripolis und in Misurata ihre offiziellen Sponsoren in der Türkei und Katar haben. Wie schon in Syrien wird in Libyen ein versteckter Stellvertreterkrieg geführt. Dabei ist der Kampf gegen das Kalifat, der über ein Jahr lang vernachlässigt wurde und entscheidend für die Stabilität des Landes ist, für beide Blöcke zur lebenswichtigen Partie geworden. Durch einen militärischen Sieg über den IS wollen sie ihre Chancen erhöhen, den Gegner auszuschalten. Eine direkte Konfrontation der beiden Fraktionen bedeutet aber nicht nur das Ende des von der Uno unterstützen politischen Friedensprozesses, sondern birgt vor allem eine große Gefahr: die eines weiteren Bürgerkriegs.“