Bewährt sich Boris Johnson als Außenminister?
Boris Johnson ist am Montag erstmals in seinem neuen Amt als britischer Außenminister nach Brüssel gereist. Der streitbare Brexit-Befürworter betonte dort den Willen Londons zur weiteren Zusammenarbeit mit der EU. Einige Kommentatoren zeigen sich erfreut über seine neue Zurückhaltung, andere trauen ihm dagegen noch nicht über den Weg.
Boris verschafft sich in Brüssel Gehör
Johnsons Auftaktbesuch in Brüssel hat gezeigt, dass seine Ernennung eine gute Entscheidung war, findet der Journalist Tom Goodenough auf dem Blog von The Spectator:
„Wir wurden gewarnt, dass man Großbritannien die kalte Schulter zeigen würde, weil wir auf den EU-Austritt zusteuern. Stattdessen hat Boris' Ankunft in Brüssel den gegenteiligen Effekt gehabt. Die Menschen sind ernsthaft daran interessiert, was Boris zu sagen hat. Ist er jetzt, da die Medien an jedem seiner Worte hängen, peinlich für Großbritannien? Bringt er es etwa fertig, unsere Nachbarn zu beleidigen, die ohnehin denken, dass Großbritannien ihnen den Rücken zukehrt? Nein, weit gefehlt! Er vermittelte vielmehr die Botschaft, dass Großbritannien weiter für Geschäfte offen sei. ... Sein Sinn für Humor mag grenzwertig sein, aber wir sollten erfreut und erleichtert sein, dass die Menschen Boris zuhören, wenn er Nachrichten vermittelt, die die Welt hören muss.“
Zahmer Johnson könnte bald wieder knurren
Das zurückhaltende Auftreten Johnsons in Brüssel könnte damit zusammenhängen, dass die neu aufgestellten britischen Regierungsmitglieder noch keinen Plan für den Brexit haben, mutmaßt Večer:
„Sie müssen die nach dem Brexit-Votum entstandene politische Krise im Land unter volle Kontrolle bekommen. Auch wissen sie noch nicht, wie die Schotten und Nordiren, die nicht aus der EU wollen, zufriedenzustellen sind. Johnsons Auftritt in Brüssel war sehr moderat, im Gegensatz zu seinen Äußerungen während der Referendums-Kampagne, als er das EU-Projekt gar mit Hitler verglich. Das heißt aber nicht, dass seine Worte nicht wieder schärfer werden könnten. Sein weiteres Auftreten wird in großem Maße vom Verhalten und der Haltung seiner Gesprächspartner in der EU und den wichtigsten Hauptstädten abhängen.“
Londons Diplomatie braucht den Adrenalinschub
Die Berufung des umstrittenen Brexit-Befürworters Boris Johnson zum britischen Außenminister ist ebenso gewagt wie begrüßenswert, findet The Daily Telegraph:
„Dies könnte sich als eine geniale Ernennung erweisen - einfallsreich, klug, mutig - und Großbritannien genau die Stimme verleihen, die es in Zeiten massiver Umstrukturierungen in der Außenpolitik braucht. Es ist zwingend notwendig, der Welt zu verdeutlichen, dass der Brexit nicht das Zusammenschrumpfen auf eine mürrische, kleine Insel vor der Nordwestküste Europas bedeutet. ... Mehr denn je benötigen unsere Diplomaten Selbstbewusstsein und Optimismus, was Großbritanniens Zukunft außerhalb der EU angeht. Jetzt ist nicht die Zeit, um sich defensiv wegzuducken. Großbritanniens Diplomaten brauchen eine Adrenalinspritze, die ihnen an diesem entscheidenden Punkt unserer Geschichte nur Boris Johnson mit seinem Schwung und Elan liefern kann.“
Johnson an der kurzen Leine
Einen klugen Schachzug der neuen Premierministerin sieht Večernji list in der Ernennung Boris Johnsons zum britischen Außenminister:
„Theresa May hat Johnson dadurch belohnt und zugleich neutralisiert. Der prestigeträchtige Titel des Außenministers ist alles, was der britische Clown bekommt. Denn May hat sich längst schon darum gekümmert, die Macht und die Einflussmöglichkeiten dieses Ministeriums stark zu reduzieren. So wurde ein Brexit-Ministerium mit David Davis an seiner Spitze gegründet, das die konkrete Arbeit des Austritts übernimmt. Zudem wird May sicherlich das Vorrecht nutzen, als Premier sehr frei und umfassend in die Arbeit des Außenministeriums einzugreifen. May und Britannien werden zwar so manchen Ausfall dieses Politclowns ertragen müssen, aber Boris wird an der kurzen Leine gehalten und ohnehin die meiste Zeit irgendwo durch die Welt reisen. Eine kluge Entscheidung, denn Johnson war das Gesicht des Brexits und wird von Millionen unterstützt.“
Großmaul als Außenminister ist Provokation
Als unverantwortliche Provokation gegenüber Europa kritisiert El Mundo die Ernennung Johnsons als Außenminister:
„May hat bei der Kabinettsbildung alles daran gesetzt, um die Wellen in ihrer Conservative Party zu glätten und alle politischen Lager einzubinden. Schließlich ist sie bislang nur als Ersatzspielerin für Cameron im Amt, die von den Wählern noch nicht legitimiert worden ist und nun eine schwere Parteikrise bewältigen muss. ... Doch nichts von all dem rechtfertigt die Ernennung Johnsons. Es ist eine unverantwortliche und provokante Entscheidung, einen Mann ins Außenministerium zu setzen, der als Großmaul und Rüpel bekannt ist. Johnsons Liste von Beleidigungen internationaler Politiker ist endlos lang. Seine EU-Kritik war immer voll von Lügen und Übertreibungen. Das alles disqualifiziert ihn für ein Amt, in dem er der wichtigste Ansprechpartner aller europäischen Regierungen sein wird.“
Mehr Meinungen