Welche Bündnispartner sucht sich Erdoğan?
Anfang August wollen sich Erdoğan und Putin laut Medienberichten in Moskau treffen. Während des gescheiterten Militärcoups in der Türkei war der russische Präsident der erste Staatschef, der sich mit Ankara solidarisch zeigte. Kommentatoren beobachten, dass sich die Türkei weiter von Europa entfernt und fürchten eine neue Achse Moskau-Ankara.
Moskau und Ankara könnten sich verbünden
Die Türkei ist dabei, sich in Riesenschritten von Europa zu entfernen, analysiert La Croix:
„Wenn die Kluft zu den Europäern sich weiter vertieft, wird es mehr als einen Verlierer geben. Die Türkei hat in den Kriegen, die sich an ihren Grenzen zu Syrien und zum Irak ausbreiten, eine wichtige - wenn auch teils unklare - Rolle gespielt. Wenn das Land weiter in dieser rückläufigen Entwicklung versinkt, kann es kaum mehr als Brücke zwischen Orient und Okzident fungieren. Dies betrifft insbesondere den militärischen Bereich und den [Nato-]Luftwaffenstützpunkt İncirlik. Die Russen schicken sich bereits an - trotz der jüngsten Spannungen zwischen beiden Ländern - die Lücke zu füllen. Wladimir Putin und Recep Tayyip Erdoğan treffen sich Anfang August in Moskau. Wer sich so sehr ähnelt, könnte sich schließlich zusammenschließen.“
Türkei gerät in russische Einflusssphäre
Moskau orientiert sich zunehmend in Richtung Ankara, beobachtet die Wochenzeitung Maaleht:
„Ankara besinnt sich auf eine Zeit zurück, in der die krummen Schwerter der Araber gesprochen haben. Die Religion verbindet sich direkt mit der Macht. Gerade das ist eine gefährliche Tendenz, das Entfernen von der Gegenwart. ... Schaut man sich die deutliche Wiederannäherung zwischen Russland und der Türkei in den letzten Monaten an, so scheint es, als ob Russland seinen Einfluss nicht auf Syrien begrenzen will, sondern sich auch in Richtung Türkei bewegt, die sich nun von der EU entfernt. Lebewohl, Türkei! Europa ist dabei, noch einen Staat an die russische Einflusszone zu verlieren.“
Neuer Kampf um religiöse Vormachtstellung
Die Religion wird der Motor von Erdoğans neuem Staat sein, sie wird die Außenpolitik bestimmen, vermutet Hassan Abu Talib in der ägyptischen Tageszeitung Al-Watan:
„Die Kräfte des politischen Islam, wie etwa die Muslimbruderschaft oder die bewaffneten Gruppierungen in Syrien, werden von Erdoğan weiter kräftig unterstützt werden. Der Machtkampf mit dem Iran um eine regionale Vormachtstellung wird stärker werden. Auch mit der dritten religiösen Macht in der Region, Saudi-Arabien, muss ein neues Gleichgewicht hergestellt werden. Größere Spannungen in verschiedenen Ländern im Nahen und Mittleren Osten sind zu erwarten. ... Mitglied in der EU wird die Türkei niemals werden. Dieser Traum ist nun vorbei. Die Europäer lassen es nicht zu, dass ein Staat mit religiöser Verfassung, der die Todesstrafe wieder einführt, Mitglied wird.“
Erdoğan muss Washington nicht fürchten
Erdoğans repressive Reaktion auf den versuchten Militärputsch wird von US-amerikanischer Seite keine spürbaren Konsequenzen nach sich ziehen, glaubt das US-Magazin Foreign Policy:
„Im Rückblick auf die Beziehungen zwischen den USA und der Türkei des letzten halben Jahrhunderts, wird klar, dass Demokratie definitiv keine Voraussetzung für die Nato-Mitgliedschaft ist. Was auch immer Obama Freitagnacht sagte, die Geschichte zeigt, dass Washington bis Samstagmorgen einen Weg gefunden hätte, um mit demjenigen zusammen zu arbeiten, der in Ankara als Sieger hervorging. Mit einem rachesüchtigen Erdoğan an der Spitze, stehen den US-türkischen Beziehungen stürmische Zeiten bevor. Aber die Geschichte gibt dem türkischen Präsidenten wenig Anlass zur Sorge, dass Washington einen strengen Standpunkt in Bezug auf die Demokratie einnehmen wird, solange die US-Interessen in der Region von der Kooperation seines Landes abhängig sind.“