Baltische Länder 25 Jahre unabhängig
Estland, Lettland und Litauen haben am Wochenende 25 Jahre Unabhängigkeit gefeiert. Nach dem gescheiterten Augustputsch 1991 erkannte schließlich auch die Sowjetunion die Souveränität der drei Länder an, die diese schon 1990 nach der Singenden Revolution proklamiert hatten. Viele Kolumnisten nutzen den Jahrestag, um Bilanz zu ziehen.
Osteuropa auf Abwegen
Leider ist die Freiheit in Osteuropa aus verschiedenen Gründen erneut in Gefahr, bedauert der britische Journalist Edward Lucas und schreibt für die Nachrichtenagentur BNS:
„Grundsätzlich war die Lage in den ehemaligen Ländern des Warschauer Pakts überall ähnlich. Doch in Ungarn und Polen greift heute zunehmend der Putinismus um sich: Das Rechtssystem wird politisiert, die politischen Gegner dämonisiert, unabhängige Institutionen verachtet und Xenophobie geschürt. ... Die Schwäche [des Westens] lässt Russland noch stärker sowohl offen als auch verdeckt Einfluss nehmen. ... In den ehemaligen versklavten Staaten, die dieses Problem erkennen, besteht die Gefahr, dass man russische Propaganda in einer übertriebenen Gegenreaktion mit der Unterdrückung der Pressefreiheit bekämpft. Es besteht zudem die Gefahr, dass man überall Spione sieht und dadurch die Bürgerrechte einschränkt.“
Letten würden Panzern heute nicht entgegentreten
Im Sommer 1991 hat Lettland den Putsch in Moskau genutzt und seine Unabhängigkeit durchgesetzt. In die Freude darüber mischen sich Zukunftssorgen, kommentiert die Tageszeitung Neatkarīgā:
„Damals hat der Nato-Mitgliedsstatus uns noch nicht geschützt und wir konnten uns auf keine internationale Hilfe verlassen. Wir konnten uns nur auf uns selbst und unsere Standhaftigkeit und Entschlossenheit verlassen, um nicht wieder in die Dunkelheit des Sowjetregimes einzutauchen. … Würden die Letten sich auch heute gegen Panzer stellen, wenn diese das Land bedrohen? Es fällt schwer, dies auszusprechen, aber: Eher nicht. ... Der Kampf um sein eigenes Land und seine Werte ist zu einer Ausnahme geworden. Aber wir haben die Demokratie und jeder kann Kritik zum Ausdruck bringen. Und in den letzten 25 Jahren gab es jede Menge Gründe, Kritik zu üben. Nur eines können wir nicht kritisieren: Unabhängigkeit und Freiheit sind die höchsten Werte, die uns der 21. August 1991 gegeben hat.“
Esten haben ihre Euphorie verloren
Durchwachsen fällt auch die Bilanz des estnischen Boulevardblatts Õhtuleht aus:
„Ja, wir haben die EU und die Nato, aber auch ein aggressives Russland als Nachbarn, die Flüchtlingskrise, den Terrorismus und den Brexit. … Estland hat sich eigentlich wacker geschlagen. Es hat keine Konflikte auf unserem Boden gegeben, wir haben starke Verbündete und die Hoffnung auf eine glückliche Zukunft. Als wir in der Unabhängigkeitseuphorie bereit waren, Kartoffelschalen zu essen, wurde unsere Zuversicht mit der Feststellung gedämpft, dass es mehrere Jahrzehnte dauern würde, bis wir den Lebensstandard des Westens erreichen. Jetzt, eine Generation später, sind wir zwar unvergleichlich reicher. Doch dass unser Lebensstandard noch immer deutlich unter dem einiger Nachbarn liegt, macht uns nicht glücklich. Es ist nicht gehässig, auf diesen Unterschied hinzuweisen, wenn die nordischen Länder als offizielles Vorbild gelten. Und vielleicht helfen uns diese Hinweise weiter.“
Digital ganz vorne mit dabei
Auch finnische Medien widmen sich dem Jubiläum ihrer baltischen Nachbarn. So schreibt die Zeitung Pohjalainen, dass Estland in mancherlei Hinsicht ein Vorbild für Europa ist:
„Beim Aufbau des neuen Estlands hatte man die globale Digitalisierung immer im Blick. In Estland gibt es im Verhältnis zur Bevölkerung die meisten Startups. Ein Vorbild für Finnland, wo derzeit über die Reform des Sozial- und Gesundheitssystems nachgedacht wird, ist Estland im Hinblick auf die Digitalisierung der Staatsverwaltung. Die umfassende Digitalisierung bietet der Gesellschaft so viele Produktivitätsvorteile, doch in vielen alten europäischen Ländern fängt man gerade erst an, darüber nachzudenken. Estland ist im Vergleich zu Finnland noch ein armes Land. Aber das Wachstum und der Wille sorgen dafür, dass der Abstand stetig geringer wird.“