Warum ist Renzis Referendum gescheitert?
Besonders junge Wähler und Menschen aus dem Süden Italiens haben Renzis Verfassungsreform abgelehnt. Einige Kommentatoren bedauern, dass die Italiener eine entscheidende Chance verpasst haben. Andere geben dem Regierungschef und dessen weltfremder Selbstüberschätzung die Schuld.
Europas Politiker brauchen mehr Gespür
Renzi steht mit seiner Selbstüberschätzung für einen Politiker-Typ, der im aktuellen Europa weit verbreitet ist, beobachtet Politikwissenschaftler Valentin Naumescu auf Contributors:
„Intuition ist Teil des Talents, der Kompetenz und der Werte eines jeden nationalen oder europäischen politischen Anführers. Vor dem Handeln sollte man das Wie, Wann und Ob klären. Man drückt nicht wahllos auf die Tasten, um zu sehen, was herauskommt. Sowohl Renzi als auch [der britische Ex-Premier] Cameron haben sich als Politiker mit wenig Intuition erwiesen. ... Keiner der beiden hätte das Referendum wohl einberufen, hätten sie vorher geahnt, dass sie es verlieren würden. Logisch folgt daraus, dass all jene Anführer, die dachten, dass sie von ihren Wählern in dieser Frage unterstützt und anschließend womöglich gar dafür gerühmt würden, die Vorstellung bestärken, dass die aktuelle europäische Politikergeneration autistisch ist.“
Renzi lebte in einer Traumblase
Das Ergebnis der Volksabstimmung in Italien zeigt, dass Premier Renzi sein Land völlig falsch eingeschätzt hat, analysiert De Groene Amsterdammer:
„Matteo Renzi hat in seinem fast drei Jahre andauernden Egotrip den Blick auf sein Land und dessen Bewohner verloren. Renzi wähnte sich in einem Italien, das es nicht gibt. Der nicht gewählte Premier beglückwünschte sich ständig zu Erfolgen, die niemand erlebte. Den Leuten ging es eben nicht besser. Die Arbeit war nicht mehr und die Steuern nicht weniger geworden. Im Gegenteil. ... Also erhob sich das Sklavenvolk. ... Allein 81 Prozent der arbeitslosen Menschen zwischen 18 und 34 Jahren aus dem Süden sagten Nein. Dort, wo verschiedene Mafia-Organisationen die einzige Chance auf Arbeit bieten. ... Renzi nahm das Wort Mafia nie in den Mund, obwohl sich die Hälfte des 2.000 Kilometer langen Stiefels im Würgegriff der Verbrecherorganisationen befindet.“
Vereinfachung wurde Renzi zum Verhängnis
Italiens Premier ist Opfer seiner eigenen Strategie geworden, analysiert La Repubblica:
„Die absolute Vereinfachung der Politik wurde von Renzi erfunden als eine neue Sprache nach dem Ende der Ideologie - der Unterscheidung der Lager in Rechts und Links. ... In dem Moment, in dem die Vereinfachung ihre extreme Form erreicht hat, nämlich die Reduzierung des politischen Diskurses auf die Wahl zwischen Ja und Nein, hat sie zum Sturz Renzis geführt. … Denn sie hat zu ebensolchen Simplifizierungen in den gegnerischen Lagern geführt, die allerdings weitaus radikaler und extremer waren. ... Die Front des Nein hat die Reform gar zum versuchten Staatsstreich erklärt, zum Autoritarismus. ... Diese Darstellung Renzis als Ungeheuer hat ihn zum Feind des Volks und der Demokratie gemacht, zum natürlichen Sohn Berlusconis. Zugleich ist klar, dass der Premier alle Fehler der Welt besitzt, aber nicht eine einzige der Anomalien des Cavaliere Berlusconi.“
Premier stolperte über seine Fehler
Obwohl sich Renzi einige Schnitzer erlaubt hat, ist seine Bilanz beachtlich, lobt El País:
„Renzi hat ein paar grundlegende Fehler begangen: Erstens kann eine Verfassungsreform kein persönliches Projekt sein, sondern muss aus einem breiten Konsens entstehen. ... Noch schlimmer war es, dass er die Volksabstimmung anfangs als eine Art Abstimmung zu seiner Person definiert hat. Da half es auch nichts, dass er das wieder zurückgenommen hat. Und drittens sollte man eine Verfassungsreform nicht mit einer Änderung des Wahlgesetzes verwechseln. Die braucht Italien am dringendsten. Trotz allem hat Renzi 40,89 Prozent der Stimmen bekommen. Unter anderen Umständen wäre das beachtlich gewesen.“
Italiener bremsen Reformen aus
Premier Renzi ist ein geschickter Politiker, doch mit dem Referendum hat er sich verschätzt, meint Dnevnik:
„Er ist als ein Politiker aufgetreten, der die Demokratische Partei personalmäßig erneuert und die veraltete Führung durch eine 30 Jahre jüngere Mannschaft ersetzt hat. Er führte neoliberale Veränderungen in die Arbeitsgesetzgebung ein, die Berlusconi nie gewagt hatte vorzuschlagen. Er packte radikale Reformen des politischen Systems an, die das verknöcherte und langsame System der parlamentarischen Entscheidungsfindung durch eine viel unabhängigere Rolle der Regierung und durch eine Machtkonzentration in den Händen des Premiers ausgetauscht hätten. Er wollte als entschlossener Politiker gelten, der schnelle und radikale Veränderungen einführt. Doch in Rom sitzt noch immer der Vatikan. Die Italiener mögen keine schnellen und dramatischen Veränderungen. In den vergangenen 20 Jahren brachten Veränderungen immer ein schlechteres Leben mit sich.“