Kommt in Tschechien das Recht auf Schusswaffen?
Vor dem Hintergrund der Terroranschläge in Europa will Tschechiens Innenminister Milan Chovanec das Recht auf Waffenbesitz und -nutzung in der Verfassung verankern. Bewaffnete Bürger sollen im Fall der Fälle ebenso wie die Sicherheitskräfte Terroristen stoppen können. Tschechische und slowakische Kommentatoren lehnen das Vorhaben ab.
Innenminister will EU-Gesetze umgehen
Tschechiens Innenminister Milan Chovanec hat sein Vorhaben in einem Interview mit Hospodářské noviny als eine Antwort auf von der EU angestrebte schärfere Waffenkontrollen bezeichnet. Mit einem Kommentar hält das Blatt dagegen:
„Dem Minister geht es nicht um den Terrorismus, er versucht, die EU zu umgehen, die sich auf eine Verringerung der Zahl zugelassener halbautomatischer Waffen geeinigt hat. Tschechien passt das nicht und bleibt lieber bis an die Zähne bewaffnet. ... Chovanec begeht einen Fehler, namentlich gegenüber der EU. Langfristig kann keine Gemeinschaft überleben, wenn sich einige Mitglieder nicht um deren Regeln scheren. Es ist aber auch ein Fehler aus einheimischer Sicht. Unsere Politiker beschweren sich häufig, dass die Tschechen die Gesetze des eigenen Landes in Schwejk-Manier [mit List und Tücke] umgehen. Wie aber können sie sich darüber wundern, wenn Tschechien als Staat das ebenso macht?“
Blick in die USA zeigt die Realität
Von einem hochgefährlichen Vorhaben des tschechischen Innenministers spricht Pravda:
„Diese Geste öffnet eine Büchse der Pandora. Danach sollte in Europa niemandem der Sinn stehen. Schon nach Nizza gab es entsprechende vereinzelte Stimmen in Frankreich. Danach hätte es viel weniger Opfer gegeben, wenn die Franzosen bewaffnet wären. ... Die Vorstellung, dass Pistolenträger aus den Reihen der Zivilisten die Welt retten, könnte den Fans von Western-Filmen gefallen. Wir anderen sollten uns aber besser an Fakten halten. Das Problem sind nämlich die Waffen an sich. In den USA, wo das Recht auf das Tragen von Waffen in der Verfassung verankert ist, werden durch Waffen jedes Jahr im Durchschnitt 12.000 Menschen getötet. Zum Vergleich: Seit dem 11. September 2001 kamen durch Terroristen in den USA weniger als 100 Menschen ums Leben. Das Monopol auf sichernde Gewalt kann nur der Staat haben.“
Bewaffnete Amateure machen das Land unsicherer
Die innere Sicherheit in einem modernen Staat gehört ausschließlich in die Hand von Profis, nicht in die bewaffneter Amateure oder selbsternannter Milizen, warnt Pravo:
„Der Vorschlag stimmt freilich überein mit einer früheren Erklärung von Präsident Miloš Zeman, wonach sich die Bürger gegen den Terrorismus bewaffnen sollen. Und er entspricht auch der Rhetorik vieler tschechischer Politiker, die gegen das Anliegen der EU wettern, den Verkauf und Besitz von Waffen bestimmter Typen einzuschränken. Der Vorschlag des Ministers erweckt den Eindruck, dass man dem Staat nicht vertrauen kann und verstärkt damit die Atmosphäre der Angst. Jahrelange Untersuchungen in westlichen Ländern zeigen wohl kaum einen Fall, da ein bewaffneter Zivilist mit einer Schusswaffe einen Terroristen gestoppt hätte. Dafür sterben dort durch den Gebrauch legaler Waffen jedes Jahr tausende Menschen, unter anderem bei Massakern unter Mitbürgern.“
Nicht jeder darf Lizenz zum Töten bekommen
Innenminister Chovanec argumentiert falsch, wenn er das Beispiel des vom Terror geplagten Israel anführt, wo sich die Bewaffnung der Menschen auszahle, kommentiert Hospodářské noviny:
„Israel ist in einer ganz anderen Lage als wir, dort herrscht eine permanente Bedrohung. In Tschechien kann davon keine Rede sein. ... In Israel durchlaufen alle Bürger ein militärisches Training. Damit ist die Wahrscheinlichkeit dort entschieden höher als bei uns, dass die Menschen das Risiko und die Notwendigkeit eines Waffeneinsatzes einschätzen können. Bei uns wären die Folgen ganz anders: Jeder könnte beginnen, sich als Agent 007 mit der Lizenz zum Töten zu begreifen und munter um sich schießen, nach dem Motto 'Schade um jeden Schuss, der danebengeht'. Vielleicht ist das übertrieben. Aber in Tschechien ist der Zugang zu Waffen im Vergleich zu den meisten westeuropäischen Staaten so schon sehr einfach.“